¡Hola Queridos!
Hallo Ihr Lieben!
Viele von Euch sind unsere Wege mitgegangen,
in Gesprächen und in Rundbriefen live vom Weg, habe ich Euch immer wieder an
unseren Jakobswegen teilhaben lassen.
Dieses Mal gibt es etwas ganz besonderes,
letztes Jahr wurde ich von Freunden gebeten, mich an einem Buch über den
Jakobsweg zu beteiligen, erst mit 2 Beiträgen, zum einen mit Caroline 2009 und
zum anderen mit Frederic 2010, Auszüge aus meinen Tagebüchern. Im Laufe dieser
Arbeit kam mir der Gedanke „warum nicht einen Beitrag über eine Etappe auf der
ich mich der gemeinsamen Begebenheiten mit den beiden erinnere und zudem noch
meine eigenen Erinnerungen vom Vorjahr mit einbringen konnte, Portomarin- Sarria.
Schnell angemeldet
konnte ich noch einen Platz auf dieser Etappe belegen und parallel zur Arbeit
an diesen Beiträgen plante ich meinen dritten Beitrag. Als mir ein verwegener
Gedanke kam, „warum nicht gerade diesen Beitrag direkt auf dem Weg schreiben?“ also auf der Strecke von Sarria nach
Portomarin.
Der Gedanke nahm Gestalt an und als ich die
Möglichkeit hatte bei Ryanair ein günstiges Flugticket nach Santiago zu
bekommen ging ich in die konkrete Planung.
Nun geht der Winter seinem Ende zu, die
Beiträge sind geschrieben und redigiert und der Druck steht bevor.
Aus diesem Anlass möchte ich Euch die
Gelegenheit bieten diese Beiträge zu lesen
2009 „Camino mit Caro“ (Kapitel 10-In der Hoffnung dass es klappt)
2010 „Camino mit Fredo“ (Kapitel 19-Azofra
nach Belorado)
2012
„Camino Galicien“ (Kapitel 36-Sarria nach Portomarin)
werden
in einem Buch veröffentlicht.
Um
Euch aber einen gesamt Einblick in Unsere Caminos zu bieten habe ich noch einen
Beitrag von 2011 „Camino Solo“ in dieser Mappe dazugestellt. Dazu wählte ich
die Etappe über die Pyrenäen, von deren Überquerung auch mein erster Beitrag
mit Frederic handelt, damit möchte ich auch aufführen wie man auf gleichen
Strecken verschiedene Eindrücke sammeln kann, was immer wieder zu Diskussionen
führt.
Das Buch wird voraussichtlich im Frühjahr auf
den Markt kommen.
Titel: Pilgerstimmen:
Gefühltes und Erlebtes auf dem Jakobsweg
Von der Haustür bis zum Camino Francés und nach
Santiago de Compostela
Herausgeber: Birgit Reichwein, Andrea Brückner
ISBN: 978-3-8482-5907-6
Gefühltes und Erlebtes auf dem Jakobsweg
Von der Haustür bis zum Camino Francés und nach
Santiago de Compostela
Herausgeber: Birgit Reichwein, Andrea Brückner
ISBN: 978-3-8482-5907-6
So wünsche ich Euch beim Lesen mindestens so
viel Vergnügen wie ich beim Schreiben hatte und verbleibe bis im Sommer, wenn
ich wieder einmal „Live berichte“ von meinem Camino mit Fine schicke.
Euer Pellegrino Claudio
Camino 2009
Von Pamplona nach Santiago
Azofra - Belorado
* * * * * *
Als nächstes ist Pellegrino Claudio auf dem Weg von Azofra nach Belorado, dieses Mal mit seiner Tochter Caroline, genannt Caro.
19 Azofra nach Belorado von Pellegrino Claudio
G
rau und wolkenverhangen zeigte sich der Himmel, als wir an diesem Tag in Azofra in den Tag starteten. Die ‚Hühnerschau‘ in Santo Domingo war unser Ziel, zwar nur 16km, doch das hatten wir uns verdient und einen Grund, etwas weniger zu gehen, gibt es immer. Es war Freitag, eine Woche waren wir nun schon unterwegs und mehr als 140km gelaufen, wir hatten allen Grund zur Freude und die berechtigte Hoffnung, in Santiago anzukommen.
Die ersten Schritte verhießen uns ein gutes Vorankommen, denn es war angenehm frisch und versprach, nicht zu heiß zu werden. Außerdem war die Dose Pfirsichkompott, die jeder im Rucksack hatte, der beste Antrieb. Und so eilten wir unserer ersten Bank entgegen. - Dosenpfirsiche zum Frühstück, welch ein Luxus.
Eine liebgewordene Angewohnheit der letzten Tage war es für uns geworden, auf dem ersten Rastplatz zu frühstücken. Kurz vor Ortsende begann es zu regnen und wir machten uns ‚wasserdicht‘, Rucksack einpacken und Regenjacken anziehen und beim Aufsetzen der Rucksäcke die grinsenden Blicke der Mitpilger, die im T- Shirt vorüberzogen. Warum sie grinsen? Man könnte es auch lächeln nennen! Denn zwei Minuten und kurz hinter der Gerichtssäule El Rollo hörte es auf zu regnen und damit auch für den Rest des Tages, aber es blieb den ganzen Vormittag über angenehm bewölkt, jedoch trocken.
Der lange Weg nach Cirueña
Nach unserem Frühstück, das wir mangels einer Bank auf dem Rand einer Kanaleinfassung genossen, ging es dann durch die ausgedehnten Weinberge des Rioja, was uns an die Weinberge der Heimat erinnerte. Nur dass hier die Wege nicht mit Beton zugeschüttet sind sondern ‚Natur pur‘ und angenehm zu laufen, ein Laufen, an das wir uns später noch oft erinnern würden, als wir auf die Pilgerpisten in der Meseta kamen. Forumsbuch: Pilgerstimmen 21. Januar 2012
So kamen wir zügig nach Cirueña, doch der kilometerlange Anstieg zum Dorf hinauf hatte es noch einmal in sich. Aber wir wurden mit einem schönen Rastplatz belohnt und hatten Gelegenheit, das Neubaugebiet zu bestaunen, das ein findiger Investor vor dem Dorf angesiedelt hatte. Wirklich schön anzusehen, doch einhellig waren wir der Meinung, dass uns das alte Dorf besser gefiel. So ging es weiter durch den Ort in Richtung Santo Domingo de la Calzada, welches wir gegen Mittag erreichten.
Santo Domingo de la Calzada
Schon von weitem sahen wir es vor einem für diese Region typischen Kegelberg, wobei sich die Stadt harmonisch in die Landschaft einschmiegte, allein der weiße Getreidespeicher, der am Rand der Stadt stand, ließ sie schon von Weitem sichtbar werden. Vorbei an ausgedehnten Weizenfeldern ging es nun weiter auf dem Sternenweg, wie der Camino auch genannt wird, in Richtung Westen.
Wenn der Wind ungünstig steht und an diesem Vormittag tat er das, roch man die Kartoffelfabrik am Rand der Stadt, lange bevor man sie sah. Der Camino führte uns von der Seite in die Stadt und zur Kathedrale, was sie eigentlich nicht mehr ist. Aber sie wird immer noch so genannt. So wie der Camino in die Stadt führt, lässt sich die wahre Größe von Santo Domingo de la Calzada nicht einmal im Entferntesten erahnen. Immerhin hat die Stadt 5300 Einwohner. Der Weg führte uns im Norden der Stadt über die Calle Mayor, vorbei an der Pilgerherberge zur Plaza del Santo mit der Kathedrale.
Auch hatte uns mal wieder der Touristenrummel erwischt, so nahmen wir als allererstes eine Bank in Beschlag, Caroline hielt die Stellung und ich organisierte was zum Essen. Ein Supermercado ließ sich nicht finden. So kam ich durch das Gewinkel der Gassen auf die Hauptstraße, die Avenida Juan Carlos1, an deren Rand sich eine ‚Restaurant-Meile‘ befindet. Alles, nur kein Supermercado! So gehe ich den Weg zurück, vorbei an Delikatessenläden, in eine Panadería und kaufe ein riesiges Weißbrot, ofenfrisch, für uns war das eine Delikatesse. Wir merkten dass ‚unsere Bank‘ vor dem Parador stand, doch es störte uns nicht. Dieser Parador war ein mittelalterliches Pilgerhospiz, das heute zu einer Reihe von Hotels gehört, die sich Paradores nennen, Hotels der gehobenen Preisklasse.
‚Pilgergucken‘ vor der Kathedrale
‚Pilgerguckend‘, aber weitgehend wortlos, saßen wir auf der Bank. Caro berichtete von den Eses, Papa so um die vierzig, mit seinen beiden Söhnen, schätzungsweise neun und zehn Jahre alt, die gegenüber auf einem Mauersims sitzend ihr ‚Unwesen‘ trieben. Wir waren uns aber nicht sicher, ob es nun Jungs oder Mädels waren, Caro meinte Jungs, ich sagte Mädels, daher auch der Name ‚die Eses‘. Das Einzige, wo wir gleicher Meinung waren: Sie sind Waldorfschüler und ihr Papa evangelischer Pfarrer. Was uns zu dieser Annahme bewog, war ein Nachmittag in Los Arcos in der Flämischen Herberge, in der sie um die Nachmittagszeit, als viele Pilger schliefen und sich von der Tagesetappe erholten, quer durch den Schlafsaal tobten, ohne Rücksicht auf Verluste.
Da ‚erscheint uns die Wienerin‘ im wahrsten Sinne des Wortes über den Platz schwebend, auch das englische Ehepaar, welches uns vor dem Weinbrunnen Irache fotografiert hatte, war da. Erschlagen von der Menschenmenge entschlossen wir uns, den Hahn, der unserer einhelligen Meinung nach besser in einer Pfanne aufgehoben wäre, anzusehen und dann das Weite zu suchen, selbst wenn das bedeutete, heute Nachmittag noch 7- 8 km zu gehen.
Doch zuerst einmal zur Hühnerschau. Der Hahn in der Kathedrale, der kräht, wenn man die Kirche betritt, soll bedeuten, dass man Santiago erreicht. Also ein gutes Omen! - Als wir die zwei Vögel erblickten, mussten wir grinsen und Caro meinte, „wie soll man die denn hören, die sind ja hinter Glas".
Die Hühnerlegende
Der Legende nach soll hier eine Familie aus Xanten übernachtet haben und die Wirtstochter fand den Sohn ganz attraktiv und wollte ihn verführen, doch ‚keusch und rechtschaffen‘ lies der sich auf nichts ein. Die erzürnte Wirtstochter sann auf Rache und versteckte einen Silberbecher in seinem Gepäck. Als der Wirt am nächsten Tag den Verlust bemerkte, schickte dieser den Stadtbüttel aus, um den Becher zu suchen und fand ihn auch schnell, der Sohn wurde gehängt und die Eltern zogen weiter nach Santiago.
Als sie auf dem Rückweg wieder durch die Stadt kamen, hing ihr Sohn immer noch und sagte zu ihnen das er noch lebe, weil der Heilige Jakobus ihn hochhalte, da er von seiner Unschuld überzeugt sei. Sie gingen zum Richter um ihm davon zu berichten, doch dieser meinte, ihr Sohn sei genauso tot wie die gebratenen Hühner, die vor ihm auf einer Platte lagen. Worauf sich die beiden Hühner erhoben und wegflogen.
Der Sohn wurde ab- und die Wirtstochter aufgehängt!
Benannt ist die Stadt nach ihrem Gründer Santo Domingo de la Calzada, der hier eine Brücke anlegte und ein Hospiz eröffnete.
Die Brücke über den Rio Oja
So verließen wir Santo Domingo über die Brücke des um diese Jahreszeit ausgetrockneten Rio Oja, der dieser Region den Namen gibt. Wir kamen in eine Landschaft, wie sie zum Vormittag nicht gegensätzlicher sein konnte, denn ausgedehnte Sonnenblumen Felder bestimmten von nun an das Landschaftsbild. Auch hatte es mittlerweile aufgeklart und die Sonne schien wieder wie eh und je. Doch es waren nur etwas über sieben Kilometer nach Grañon, mit einer einfach Herberge im Turm und Chorgestühl einer Kirche.
Flucht ist unser erster Gedanke
Als wir dann am Nachmittag Grañon erreichten, hatten wir auch unser Limit - dreiundzwanzig Kilometer - erreicht und waren platt, aber das genügte ja auch. Die Herberge neben der Kirche war auch leicht zu finden, so stiegen wir den Turm hinauf ins Chorgestühl und fanden einen altertümlichen Aufenthaltsraum mit Küche und einem riesigen Schreibtisch im Korridor, sanitäre Anlagen die uns ob des Alters erschauern ließen, aber relativ sauber. Wir bekamen unsere Sportmatten eine Etage tiefer und selbst in Caros Augen war der Gedanke an Flucht zu lesen. Doch keiner war bereit, noch weitere 4km zu gehen, so fügten wir uns unserem Schicksal und es wurde einer der schönsten Abende des Caminos.
Glücklich nicht geflohen zu sein!!
Nachdem wir uns ‚eingerichtet‘ hatten, nahm ich mein Tagebuch und ging nach oben, ich wollte schreiben, Caro wollte etwas schlafen. Doch zum Schreiben kam ich nicht, gegen fünf begann die resolute Hospitalera in der Küche zu werkeln und ich gesellte mich zu den anderen helfenden Hände und half, das Abendessen zu kochen, zumindest die ‚Schnipseleien‘ durften wir übernehmen. Mittlerweile hatte ich auch die Eses wiederentdeckt, auch die ‚Abiturientin‘, ‚die Wienerin‘, ‚das schwedische Ehepaar‘ mit ‚Henning und Kumpel‘ im Schlepptau. Alle waren da! Und dann kam beim Abendessen eine der herausragenden Bekanntschaften des Jakobsweges dazu, ‚Rimini‘, er sollte uns bis kurz vor Santiago begleiten, dort verloren wir Ihn aus den Augen. ‚Rimini‘ nannten wir ihn deswegen, weil er zuhause in Rimini im Frühjahr losgegangen war.
Nach der Abendmesse gab es einen typisch Spanischen Eintopf mit Kartoffeln, Zwiebeln und Chorizo, dazu Brot und danach noch eine Salat mit Flipper (Thunfisch) und natürlich Vino Tinto. Es wurde ein geselliger Abend, der mit einer schönen Andacht und auf einer harten Sportmatte endete und ich spürte Caros Ergriffenheit von diesem Abend, ich selbst war so müde, das mir nicht einmal der harte Untergrund etwas ausmachte.
Ultreia et Suseia
Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Schmunzeln im Gesicht wach, denn ich hörte oben im Aufenthaltsraum Stimmen, was eigentlich nichts Außergewöhnliches wäre, doch die Stimmen sangen, nicht etwa ein X-beliebiges Lied sondern ‚Ultreia et Suseia‘. Schmunzeln musste ich deswegen, weil wir uns gestern Abend in der Andacht so vorgestellt hatten.
Nachdem Jean, der Hospitalero - ein Benediktiner aus Lyon, uns aufgefordert hatte, jeder solle sich mit Worten in seiner Landessprache, die ihn gerade bewegten, vorstellen, hatte ich gesagt, "Ultreia et Suseia" und Caroline die Übersetzung dazu ‚bis Santiago und darüber hinaus‘, wonach ein Ruck durch den Benediktiner ging und er am Ende der Andacht noch die Bedeutung erklärte. Man wisse nicht genau, aus welcher Sprache es komme, vermute aber eine Mischung aus Französisch, Spanisch und Baskisch. So kam es, das an diesem Morgen niemand, aber auch wirklich niemand das Refugio verlies, ohne Ultreia zu singen oder zumindest, wie ich, zu pfeifen.
„Singen - boäh pfui Spinne", ich pfiff so wie jeden Morgen auch hier ‚Ultreia‘, dazu gab´s noch einen Cafe con leche und leckere Kekse, also ‚spanisches Frühstück‘.
Wir verlassen Grañon mit einem Schattenbild
Mit der Sonne im Rücken verließen wir Grañon in Richtung Belorado, nicht ohne ein Schattenbild zu machen und an einem Gebüsch hinter dem Ort gab‘s noch leckere Kirschen als Zugabe. Da die Sonne im Osten aufgeht und der Camino uns nach Westen führte, starteten wir jeden Morgen mit der Sonne im Rücken, und liefen unseren Schatten hinterher, die nach Santiago vorauseilten.
So gestärkt ging es in den jungen Tag, Belorado entgegen und das wollten wir auch einhalten. Zwar etwas wenig für den Tag, nur 16km, doch mit der Strecke von gestern kamen wir auf einen Tagesschnitt von 20km und dass war genug.
Sonnenblumenfelder soweit das Auge sieht
Auch war es ein angenehmes Laufen, denn alle 3 bis 4km kam ein Dorf und in Viloria, dem Geburtsort des heiligen Domingo, trödelten wir bei einem Eis etwas länger rum. Unterwegs hatten wir auch Begegnungen der außergewöhnlichen Art, denn wir trafen freilaufende Siamkatzen, noch dazu zutraulich, wie man es in Deutschland nicht kennt. Gegen ein Uhr waren wir in Belorado in der ersten Herberge und freuten uns auf einen Bummelnachmittag. Caro fiel ins Koma und ich machte meine Wäsche, ging einkaufen und kochte unsere ‚Pilgerspaghetti‘.
Belorado
Beim Einkaufen traf ich auf ein Gruppe Freunde aus aller Herren Länder, die bei einem Kurzbesuch bei einem Freund in Florenz auf die Idee gekommen waren, eben mal einige Wochen auf den Jakobsweg zu gehen. Einfach so, man hat ja nichts Besseres zu tun, was ich von einem Australier erfuhr, der dazu gehörte. Er sprach deutsch, denn seine Mutter stammte aus Kassel und war nach Australien verheiratet und fand es gut, wenn ihr Sohn sich mal einige Zeit Europa anschaute. Natürlich mit dementsprechend viel Taschengeld ausgestattet, doch der Jakobsweg regelt alles, so wie wir Freundschaften und Gruppen entstehen sahen, so sahen wir auch, wie sich diese Gruppe in den Weiten des Jakobsweges verlor. Man hörte sie nur den ganzen Abend und die halbe Nacht feiern - und den Rest der Nacht kotzen … . Unterwegs in der Meseta sahen wir dann noch mal den einen oder anderen alleine gehen. Doch ansonsten verloren wir sie alle aus den Augen
Camino 2010
Von Saint Jean Pied de Port nach Santiago de Compostela
Saint Jean Pied de Port - Roncesvalles
* * * * * *
Eine Besonderheit ist es auf jeden Fall, wenn der Camino ein ‚Generationen-Erlebnis‘ wird.
Wir bereits erwähnt, begleiten wir im nächsten Beitrag Pellegrino, der den Camino Francés mehrfach gegangen ist – sowohl alleine als auch nacheinander in Begleitung seiner Kinder. Im folgenden Beitrag startet er in Saint Jean Pied de Port zu der anspruchvsollen Etappe über die Pyrenäen mit seinem damals 13-jährigen Sohn Frederic.
10 In der Hoffnung, dass es klappt von Pellegrino Claudio
Mit meinem Sohn Frederic über die Pyrenäen nach Roncesvalles
W
ir hatten Bayonne noch nicht richtig verlassen, da gab Frederic ‚unserem Weg‘ sein Motto. Überwältigt von dieser schönen Pyrenäenlandschaft kniete er auf seinem Sitz, blickte in die Runde und seufzte, für meine Begriffe etwas zu laut, aber ich wollte seine Freude nicht dämpfen, es verstand ihn ja doch niemand „weißt du, eigentlich kann man von den Leuten hier ja nicht verlangen dass sie Deutsch verstehen". Da stand vier Reihen vor uns eine junge Frau auf und meinte „doch, wir verstehen euch, wir sind Deutsche". Na toll, dachte ich, so ungefähr habe ich es mir vorgestellt, noch nicht richtig auf dem Weg und schon geht's los, Frederic macht uns bekannt.
So kam es das unser Camino 2010 unter dem Motto ‚Menschen am Wegesrand‘ stand.
Wir fuhren mit dem Bus nach St. Jean Pied de Port, da der Schienenverkehr wegen Gleisbauarbeiten schon seit Monaten eingestellt war.
In die Pyrenäen
Auf der ‚Route de Combo‘ ging es in einem leichten Nieselregen entlang der Nive in die Pyrenäen. Gesäumt von malerischen Bergdörfern führte uns die Straße unserem Ziel entgegen, Saint Jean Pied de Port, ein 1500-Seelen-Dorf in der Französischen Region Aquitanien. Früher hatte die Stadt andere Namen wie Santa Maria Cabo el Puente oder Sainte-Marie du Bout du Pont. Ihren heutigen Namen, ‚heiliger Johann am Fuße des Passes‘ ist auf eben die Lage am Fuße des Passes zurückzuführen. Sie ist Endpunkt der Via Podiensis und zugleich Beginn des Camino Francés, des Weges der Franzosen. Hier hat man die Möglichkeit zwischen zwei Varianten der Pyrenäenüberquerung zu wählen, zum einen die ‚Route Napoleon‘ über den auf 1450m gelegenen Col de Lepoeder und zum anderen den Weg durch ein Gebirgstal über Valcarlos und den auf 1000m gelegenen Ibañeta Pass, die ‚Valcarlos Route‘. Wir wollen über die ‚Route Napoleon‘ gehen, da ich letztes Jahr
mit Caroline in Pamplona unseren Weg begonnen hatte, zog es mich dieses Jahr wieder in die Pyrenäen. Einzig was Frederics Freude etwas ausbremste, war die holprige Nacht im Liegewagen. Start mit einer Trauerfeier
Als wir in Saint Jean Pied de Port ankamen, begrüßten wir erst einmal unsere deutschen Mitpilger, Heinz und Gisela, Mitte dreißig und ihre Tochter Anne, ich schätzte sie in Frederics Alter.
Heinz ist den Weg schon einmal gegangen und möchte nun das Erlebte mit seiner Familie teilen, zu Fuß nach Pamplona dann mit dem Zug nach Leon und den Rest wieder zu Fuß bis Santiago, drei Wochen haben sie Zeit. Sie wollten auch gleich den Ort besichtigen und zur ersten Etappe nach Orisson starten. Wir gönnten uns erst mal was zu trinken, denn wir hatten vergessen, am Abend vorher in Paris Wasser zu kaufen und hatten dementsprechend Durst. So kamen wir gerade mal zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft in der Av. Renaud, doch wir hatten Zeit und genossen die Vormittagssonne bei einem Kaffee und einer großen Cola.
Doch dann hatte es Frederic sehr eilig auf den Weg zu kommen, zumindest zum Pilgerbüro, unserem ersten Stempel entgegen, denn erst dann sind wir ‚richtige Pilger‘.
In der Hoffnung Marie wiederzusehen treibt es auch mich voran. Sie gehört zu den Jakobsfreunden, den Amis de Saint Jaques, einer Ortsvereinigung im Regionalverband "Aquitaine". Ich habe sie vor zwei Jahren kennengelernt, als ich erst spät nachmittags ankam und sie mir ein Bett in Orisson reservieren ließ. Sie stammt aus Lothringen und war im Krieg als Kind nach Trier deportiert, so kamen wir auch ins Gespräch. Als sie meinen Credencial stempelte und den Stempel des Bistums Trier sah, meinte sie mit unverkennbar französischem Akzent „oh unsere Jakobsfreunde aus Triärrrr".
Doch Sie war nicht da und so ging es auch gleich weiter zur Kirche, wir wollten eine Kerze anzünden. So wie Gisela im Bus kam nun auch eine ältere Holländerin auf uns zu und meinte „ihr seid Deutsche?" ich nickte und sie sagte, dass sie mit ihrem Mann hier mal nach Santiago gestartet sei und dieses Jahr machten Sie Urlaub auf dem hiesigen Campingplatz. „Wir sind zu alt, doch wir wollen die Strecke nochmal mit dem Camper abfahren", man spürte diesen Hauch von Wehmut in ihrer Stimme, wie gerne Sie den Weg nochmal gehen würde.
So war es schon Mittag, als wir unten in der Kirche ankamen. Es fand gerade ein Gottesdienst statt, was mich wunderte denn es war erst Donnerstag. Doch wir setzten uns andächtig dazu und feierten mit den anderen die heilige Messe. Wir waren die einzigen Pilger, was ich sehr komisch fand, aber da schubste mich auch schon Frederic an und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Sarg, der vorne vorm Altar stand. Na toll, da waren wir mitten in eine Trauerfeier geplatzt!
Ich signalisierte ihm sitzen zu bleiben. „Da müssen wir nun durch", flüsterte ich ihm zu. Nach der Trauerfeier zündeten wir unsere Kerzen an und verließen die Kirche. Noch einige Bilder von der malerischen Fassade entlang der Nive und noch in ein ‚Souvenirgschäfderl‘, denn Frederic wollte noch einen Hut kaufen. O-Ton Frederic: „Einen echten Pilgerhut kauft man nur am Pilgerweg, dann ist er echt!"
Auf nach Huntto
‚Am Brunnen vor dem Tore‘ füllten wir unsere Wasserblasen, zum ersten aber nicht zum letzten Mal an diesem Tag, denn es versprach heiß zu werden. Dann noch etwas ausruhen - Frederic korrigierte mich, „wir Chillen" - , dann ging es los. Ihr wisst ja, die ersten Kilometer hinter Saint Jean sind die schlimmsten, selbst Frederic schaltete einen Gang zurück.
Doch wir kamen gut in den Nachmittag und bis nach Huntto ist es ja nicht allzu weit. Dort blieben wir deswegen, weil ein Bett gerade mal die Hälfte von dem kostet, was wir bei Jean Jacques in Orisson bezahlen würden. Gut, bei ihm bekämen wir zwar ein Abendessen und Frühstück, doch wir hatten noch unsere Brote und das genügte uns. Also dann ‚auf nach Huntto‘!
Dort angekommen machte ich aufgrund meiner mangelnden Französischkenntnisse einen gravierenden Fehler. Ich entschied mich für das Gästehaus ‚Ferme Iturburia‘, und nicht für die angeschlossene Gite d´Etape. Und somit zahlten wir sogar vier Euro mehr als bei Jean Jaques. Unsere deutschen Mitpilger trafen wir dann auch wieder, denn sie gingen an diesem Nachmittag auch nicht nach Orisson.
Die Übernachtung war aber ihr Geld wert, auch wenn es ein großes Loch in unsere Pilgerkasse brannte. Zum Abendessen gab es Entenbrust mit Gemüse und Kartoffeln, als Dessert Eistorte, vorweg eine Kohlsuppe. Eine lange Tafel war gedeckt und es gab feste Sitzplätze, die Mme. Marie von vornherein festlegte.
So kam
es, dass Heinz und Gisela samt Tochter am anderen Ende der Tafel saßen und somit eine Unterhaltung kaum möglich war.
Mit an dem Tisch saßen noch drei junge Pilger und mehrere französische Wanderer, denn die Region um Saint Michel ist ein beliebtes Wandergebiet. Bald schon registrierte ich, dass Heinz im Gespräch mit den drei Pilgern regelrecht aufblühte. Durch das Gemisch aus englisch und spanisch, genannt ‚Spanglisch‘, wurde seine Frau mangels Sprachkenntnissen immer stiller. Die Tochter versuchte anfänglich noch, sich am Gespräch zu beteiligen, doch gab sie dann irgendwann auf. Fredo und ich ließen es uns derweil schmecken. Franzosen links und rechts von uns und auch noch gegenüber, man unterhielt sich mit Händen und Füßen, denn da toppen sie sogar noch die Spanier, mit ihrer Abneigung dem Englischen gegenüber.
Nachdem sich Frederic noch eine zweite Portion Eis hatte aufdrängen lassen, löste sich die Tafel auch auf. Heinz und Gisela meinten, dass sie morgen früh los wollten, schließlich sei es kein Zuckerschlecken bis Roncesvalles. Wie wahr, wie wahr, Gisela hatte heute von der kurzen Strecke Blasen an den Füßen.
Auch wir zogen uns zurück, Rucksäcke für den nächsten Tag richten. Wir hatten zwar ein Doppelzimmer, doch in den Herbergen ist es besser, wenn man abends schon alles richtet, damit man am nächsten Morgen nicht so viel scheppert. Zum anderen ist es gut wenn man morgens zügig los kommt.
Als wir dann am nächsten Morgen mit dem ersten Tageslicht aufstanden zog der Nebel vom Tal herauf. Zum Frühstück gab es Café au Lait, für mich schwarz, Brot, Butter und Marmelade und dann starteten wir in den Nebel.
Virgen d´Orisson
Virgen d´Orisson
Zuerst ging es ein Stück auf der Straße, als wir unter uns Stimmen im Nebel hörten. Da schälten sich auch schon die ersten Pilger aus dem Grau, eine französische Jugendgruppe die sich auf dem Weg nach Roncesvalles befand.
Heinz, Gisela und Tochter Anne waren schon weg und ich fragte mich, ob das wohl gut geht. Unser nächstes Ziel war Orisson, die Gite von Jean Jacques. Dort spendierte Frederic einen Kaffee und ´ne Cola. Der Nebel hatte sich mittlerweile verzogen, aber das Wetter blieb wechselhaft. Mal war es trüb, mal bewölkt, aber trocken. Es regnete aber im Gegensatz zu den Jahren davor nicht.
Noch nicht, denn ich wusste wie wechselhaft das Wetter in den Pyrenäen sein kann!
Einen letzten Blick zurück in Richtung St. Jean und wir sahen, wie sich der Nebel im Tal hielt. Frederic war begeistert, „das ist so als wenn man aus einem Flugzeug, das über den Wolken fliegt, guckt!"
Wir kamen gut voran, die Virgen d´Orisson, eine kleine Marienstatue zwischen den Felsen, war bald erreicht. Frederic war vor mir da und kletterte schon in den Felsen rum und zeigte mit wedelnden Armen seine Begeisterung.
Wir waren die Letzten auf dem Weg, der Aufstieg war schweißtreibend und als ich bei einer Rast zu Frederic sagte, „wenn es mich hier zerbröselt, buddelst du ein Loch und wirfst mich rein, nimm aber vorher meine Papiere und geh weiter nach Santiago". Worauf er knochentrocken meinte, "und als letzten Atemzug hauchst du mir die Geheimzahl deiner Visa-Card zu".
Das war mein Fredo, diesen trockenen Humor hat er von mir!
Von Wilden Pferden und zahmen Schafen
Am frühen Nachmittag sahen wir die ersten wilden Pferde, die Pottok Ponys, eine seltene Ponyrasse aus dem Baskenland. Waren Sie früher für die Bauern ein ‚Nebenprodukt‘ der Berge, so züchtet man sie heute als Freizeitvergnügen, aber noch immer sind sie auch ein beliebter Fleischlieferant. Immer wieder begegneten wir kleinen Herden von fünf bis sechs Pferden, und als wir am Nachmittag den Col de Bentarte erreichten, sahen wir unterhalb des Passes auch eine Schafherde.
Frederic erkannte einen weißen Transporter an dessen geöffneter Seitentür Campingstühle standen. Als wir näher kamen, erhob sich ein Mann und begrüßte uns. Er sprach deutsch, sein Name sei Jan, er komme aus Bayonne und zähle hier die Pilger, die über die Pyrenäen gehen. Nach Nationen getrennt machte er zwei Striche mit einem Edding hinter Deutschland.
17 Deutsche waren vor uns, insgesamt sind schon 177 Pilger durch, plus die 43 köpfige Jugendgruppe. Das würde eng in Roncesvalles werden, 120 Betten in der großen Herberge, im ‚Schnarch Saal‘, aber wir nahmen es gelassen.
Bevor wir über den Pass Richtung spanischer Grenze verschwanden, hütete Frederic noch die Schafe, teilte die Herde in
zwei Hälften und war für wenige Augenblicke ‚Herr der Welt‘, es ging Ihm gut und er begann sich langsam einzulaufen. Auf den Spuren Ritter Rolands
zwei Hälften und war für wenige Augenblicke ‚Herr der Welt‘, es ging Ihm gut und er begann sich langsam einzulaufen. Auf den Spuren Ritter Rolands
Am Rolandsbrunnen rasteten wir, ich erklärte Frederic die Bedeutung des Brunnens beziehungsweise seines Namensgebers. Ritter Roland war ein Neffe und Paladin Kaiser Karls des Großen, der mit seiner Nachhut das fränkische Heer decken sollte. Sie waren im 8. Jahrhundert auf dem Rückzug von den Maurenkriegen in Richtung Heimat unterwegs, als sie der Sage nach im Gebiet von Roncesvalles in einen Hinterhalt gerieten. Wie er es mit letzter Kraft noch schaffte, sein mächtiges Horn Olifant zu blasen und damit Kaiser Karl zu Hilfe rufen konnte, der jedoch zu spät kam. Sie unterlagen den baskischen Kriegern.
Das Rolandslied, die Sage um Ritter Roland, geht in die Geschichte ein, und nun saßen wir am Rolandsbrunnen und tranken dort Wasser. Wir waren einhellig der Meinung, dass es nicht das beste Wasser war, aber da mussten wir durch, unsere Vorräte waren leer und in weiser Voraussicht füllten wir sie auf.
Am späten Nachmittag rasteten wir am Wegesrand, legen uns ins Gras und schliefen etwas, bevor es weiter ging. Als wir den Waldweg weitergingen, sehen wir den Nebel aus dem Seitental aufsteigen und gingen etwas schneller.
Als wir dann aus dem Wald unterhalb des Col de Lepoeder herauskamen, meinte Frederic, „Guck mal da, ein Refugio". Ich sagte zu Ihm da hätte er wohl was verwechselt, doch als ich hinübersah, war da wirklich ein kleines Steinhaus mit dem ‚Refugio‘-Zeichen über der Tür. Die Tür war nicht verschlossen, wir konnten unserer Neugierde nicht widerstehen und riskierten einen Blick hinein. Es war ein einfacher, schmuckloser, aber zweckmäßiger Raum mit zwei gemauerten Pritschen und einem Kamin im Eck, davor stapelte sich armdickes Brennholz. Ich dachte noch, hier zu Übernachten wäre bestimmt ein Highlight für Frederic.
Mit Paolo Coelho durch die Berge Als wir weitergingen, kam der Nebel immer schneller und keine hundert Meter hinter der Hütte waren wir ‚nebelfeucht‘. Ich erklärte Frederic, dass es wohl besser wäre, die Nacht in der Hütte zu verbringen, denn wenn wir warteten, bis das Wetter wieder umschlug, würde es dunkel. Das Funkeln in seinen Augen verriet
mir, dass dies eine gute Idee war, und so gingen wir das Stück wieder zurück. Kaum hatten wir uns in der Hütte eingerichtet, donnerte und krachte es schon und Regen prasselte aufs Dach.
Als Abendessen gab es belegte Brote, die Reste unseres Reiseproviants, dazu Wasser vom Rolandsbrunnen. Es wurde eine harte Nacht auf der Steinpritsche. Zwar hatten wir unsere Isomatten dabei, doch die machten den Beton nicht unbedingt weicher. Aber Hauptsache, wir hatten ein Dach über dem Kopf und waren im Trocknen. Als es dann nachts kalt wurde, zündeten wir den Kamin an.
Das war Abenteuer pur, alleine in den Bergen, prasselndes Kaminfeuer, jetzt fehlte nur noch das Geheul von Wölfen. Ein Erlebnis für Fredo, von dem er auch heute noch schwärmt!
Wir wollten am nächsten Tag trotzdem nur bis Roncesvalles, und somit benötigten wir drei Tage über die Pyrenäen, eigentlich vier, wenn wir den einen Tag bis Zubiri über den Erro-Paß dazurechneten.
So erzählte ich Frederic von Paolo Coelho, der von seinem Führer auch mehrere Tage durch die Pyrenäen geführt wurde. Für einen Weg, den man an einem Tag gehen konnte. Als wir morgens aufwachten war es neblig und an ein Weitergehen wollten wir noch nicht denken, denn die sechs oder sieben Kilometer würden wir mit links schaffen! So warteten wir, bis sich der Nebel verzogen hatte und setzten dann unseren Weg nach Roncesvalles fort. Frederic zählte den Abstand zwischen den Seitenpfosten und erklärte mir, wie wichtig es sei, sich bei Nebel daran zu orientieren, schließlich hatten wir ja gestern Abend am eigenen Leib erfahren, wie schnell es gehen konnte. Ich musste innerlich grinsen, höre ihm aber mit ernster Miene zu und freute mich, ‚wiedermal was dazugelernt zu haben‘.
Oben am Pass waren einige Wanderer, die von der spanischen Seite einen Ausflug in die Berge machen. Wir rasteten kurz, bevor es an den Abstieg ging.
Durch den Wald nach Roncesvalles Die Straße überquerend, dort wo man die Wahl zwischen der Asphaltpiste und dem Weg durch den Wald hat, meinte Fredo, „wir gehen durch den Wald!" Ich war zwar skeptisch, denn der Weg hatte nicht gerade den besten Ruf, besonders wenn es die
Nacht vorher geregnet hatte und wie ein matschiger Weg aussehen kann, war mir nur zu gut in Erinnerung, doch ich nickte ihm zu.
Der Weg entpuppte sich als ein schöner Weg, der kein bisschen rutschig war und so kamen wir zügig ins Tal. Die Herberge öffnete erst um 16.00 Uhr, und damit hatten wir noch einige Stunden Zeit. Frederic spielte im Wildbach unterhalb des Klosters und ich dachte, ‚irgendwann einmal, wenn er von Hemingway liest, wird er verstehen das er an so einem Wildbach gespielt hat, zu dem dieser zum Angeln fuhr‘.
Zum krönenden Abschluss der Pyrenäenetappe dann noch die schöne alte Herberge, von holländischen Pilgerfreunden betreut. Was es ihm aber richtig angetan hatte, waren die Automaten unten im Aufenthaltsraum. So ging eine Etappe zu Ende, die ein wunderbarer Einstieg in den Jakobsweg war und den zusätzlichen Tag würden wir sicher wieder herausholen.
Was aber von nun an Frederics Denken beschäftigte, war Pamplona und San Fermines, der Stierlauf! Zwar würde dieser erst beginnen, wenn wir Pamplona schon wieder verließen, aber ich konnte Frederic zeigen, wo die Stiere laufen und wie sich die Stadt herausputzte.
Aber das ist eine andere Geschichte auf dem Weg nach Santiago.
Camino 2011
Von Saint Jean Pied de Port nach Fisterra
Saint Jean Pied de Port - Roncesvalles
„Du Schaffst das schon“
TGV 9552 nach Paris, da
stand ich nun, auf der Plattform zwischen den Waggons und konnte mich kaum
rühren so eng an eng standen wir, doch ich nahm es mit Humor.
Es wäre nicht das erste Mal das ich eine Zugfahrt stehend verbringe.
Ich habe zwar eine Reservierung doch zwei Waggons weiter vorne, denn bei all dem Verabschieden bin ich in der Eile in den falschen Waggon gesprungen und der Zug war proppenvoll.
Gerade wollte ich meinen Rucksack abstellen als eine Stimme hinter mir erklang „wer zugestiegen ist, die Fahrscheine bitte“. Gottseidank habe ich meine Tickets griffbereit, doch als die Schaffnerin meinen Reservierungsschein erblickte machte sie eine Kopfbewegung in Fahrtrichtung und meinte „zwei Wagen weiter sind ihre Plätze“.
Auf meinen Einwand, in Saarbrücken, wenn der Zug steht, umzusteigen, erwiderte sie nur „maintenant!»
Es wäre nicht das erste Mal das ich eine Zugfahrt stehend verbringe.
Ich habe zwar eine Reservierung doch zwei Waggons weiter vorne, denn bei all dem Verabschieden bin ich in der Eile in den falschen Waggon gesprungen und der Zug war proppenvoll.
Gerade wollte ich meinen Rucksack abstellen als eine Stimme hinter mir erklang „wer zugestiegen ist, die Fahrscheine bitte“. Gottseidank habe ich meine Tickets griffbereit, doch als die Schaffnerin meinen Reservierungsschein erblickte machte sie eine Kopfbewegung in Fahrtrichtung und meinte „zwei Wagen weiter sind ihre Plätze“.
Auf meinen Einwand, in Saarbrücken, wenn der Zug steht, umzusteigen, erwiderte sie nur „maintenant!»
Der Disput hat die Aufmerksamkeit der anderen Passagiere geweckt. Einer
der Mitreisenden klopfte mir, mit den Worten „du schaffst das schon“, auf die
Schulter und die Schaffnerin gab mir einen Schups. Dann ging alles schnell und
im nu war ich an meinem Platz, ohne jemanden anzurempeln und das bei 280 km/h,
was mir heute noch ein Rätsel ist, denn in Paris beim Aussteigen, im stehenden
Zug, rempelte ich fast jeden Sitz an der auf meinem Weg lag.
![]() |
Ponte d´Austerlitz über die Seine |
![]() |
Ein Hausboot am Quai d´Austerlitz |
Nach einer
durchrüttelten Nacht in einem Nachtzug von Lunea, mit dem ich am späten Abend
des Vortages Paris verließ, genoss ich die nach Salz schmeckende Meer Luft, es
roch nach Regen.
Ich stand am Ufer, da
wo Adour und Nive zusammenfließen und hing meinen Gedanken nach als ich von den
ersten Regentropfen aus meinen Gedanken gerissen wurde.
Eilig ging ich den Weg
zum Bahnhof zurück und hatte noch genügend Zeit für einen Tasse Kaffee.
Nun ging es mit einem
Bummelzug weiter in die Pyrenäen. Nicht unbedingt bequemer doch im ersten Licht
des Tages konnte ich wenigstens die Natur genießen.
Da waren sie auch
wieder, die Erinnerungen an ein Leben das ich in den Alpen, im Hochgebirge
verbrachte, waren es diese Erinnerung die mich so an diese Region am Beginn
eines über tausend Jahre alten Weges fesselte?
Es war meine vierte
Pyrenäenüberquerung und alle waren sie gleich, schmerzhaft und doch schön
zugleich, aber dieses mal wird es anders werden, ich spürte es mit jeder Faser
meines Körpers, so wie ich jeden Wetterumschwung spüre.
Ich freute mich darauf
Freunde zu treffen.
Tief in meinem Herzen
regte sich wieder das Heimweh, ich war noch nicht auf dem Weg und spürte das
ich auf der Hut sein musste, auf der Hut vor meiner eigenen Courage, doch erst
einmal ging es mit dem Zug nach St. Jean Pied de Port ins Pilgerbüro und zur
Porta España, von wo aus ich nach Orisson, meinem heutigen Tagesziel, starten
wollte.
So etwas wie Vorfreude
verdrängte das Heimweh, Vorfreude auf Marie die ich vor Jahren kennenlernte,
als ich meinen ersten Credencial stempeln lies, aber auch auf Jean Jaques, dem
Patron der Gite d´Orisson der mich damals in der Bergen aufgabelte und mit dem
ich seitdem befreundet bin und sicher war Jan auch in den Bergen.
Unaufhaltsam windet
sich der Regionalzug am Ufer der Nive hinauf in die Berge, die sich
wolkenverhangen zeigten und dem Namen dieser Region "Aquitanien" alle
Ehre machte, aber es war im Gegensatz zu den vergangenen Jahren nicht kalt,
aber wie immer nass.
Früher einmal gehörte
diese Region zum Königreich Navarra und hieß Nieder Navarra oder auf Spanisch
Ultra Puertos was soviel bedeutet wie „hinter den Häfen“.
In Saint Jean angekommen
ging es erst einmal in die Rue de la Citadelle N° 39, dem Pilgerbüro, ich hatte
keinen Credencial dabei denn ich wollte mir ein französisches Credencial im
Pilgerbüro holen.
Die Stadt liegt am
Beginn der Paß Straße und war früher ein bedeutender Handelsplatz und eine
Beliebte Residenz der Könige.
Die Region um die Stadt
war Schauplatz vieler Auseinandersetzungen und die bekannteste war wohl im 8.
Jahrhundert die Schlacht um „Roland de Roncevaux“.
Roland war ein Paladin
und Heerführer Karls des Großen, er kam mit seinem Heer aus Saragossa und
überquerte den Pass in einem langen Tross, da wurde er von den Basken
angegriffen und um sein Schwert nicht an die Feinde zu übergeben zerschlug er
es an den Felsen, doch nicht das Schwert barst sondern der Fels und an diesem
Punkt wird die Geschichte zur Legende.
Bevor ich die Nive über die alte Römerbrücke
überquerte bog ich links ab, dem Weg, entlang des Seitenschiffes der Kirche
„Igles d´Notre Dame“, der zu einer alten Bank unten am Fluss führte, folgend.
Orisson war nicht weit und ich hatte Zeit, ehrlich gesagt zog mich auch nichts
auf den Weg, er rief mich nicht, wie all die Jahre.
Da war sie wieder, die
Stimme, ich nannte sie „Mutter Courage“, frei nach Brecht,„geh zurück“, "du
bekommst den Mittagszug noch“, „schick dich, noch ist es nicht zu spät“.Doch irgendwann war es
zu spät, der Zug hatte den kleinen Ort am Fuß der Pyrenäen Richtung Meer
verlassen und für einen kleinen Moment glaubte ich die Schreie der Möwen zu
hören. Noch ahnte ich nicht im Entferntesten, das ich sie sechs Wochen später,
900 Kilometer weiter im Westen, am Ende der Welt in Fisterra wirklich hören
würde, denn eigentlich wollte ich „nur“ nach Santiago.
Der Nachmittagszug, ja
mit dem würde ich den Nachtzug nach Paris auch noch erreichen und sogar noch
einige Stunden in Bayonne am Meer verbringen können. Bayonne, was soviel
bedeutete wie „sicherer Hafen“, ein Hafen aus der Römerzeit.
Aber es konnte ja nicht
Schaden hinauf zum Ortsaugang zu gehen, dahin wo der Pilger nochmal die Wahl
hat, über die Pyrenäen auf der "Route Napoleon", oder den etwas
sanfteren Weg, die "Valcarlos Route" zu dessen höchsten Punkt, dem
Ibaneta Paß, der Weg die nächsten 23 Kilometer auf 1000 Meter anstieg
wohingegen die Route Napoleon auf 1400 Meter anstieg.
Mit diesen Gedanken
ging ich über die Römerbrücke und die Rue de España hinauf, nicht aber ohne
vorher noch in der Kirche eine Kerze anzuzünden und um das Wohlwollen des Weges
zu bitten. Der Weg meinte es dieses Jahr wirklich nicht gut mit mir, so ging
ich erst einmal zu dem kleinen, hinter der Porta d´España gelegenen Rastplatz
unter den Platanen. Die mir mit seinem dichten Laubdach Schutz vor dem leichten
Nieselregen boten.
Einer alten Gewohnheit
folgend begann ich meinen Rucksack umzupacken, die Wasserblase musste gefüllt
und verstaut und die Kleider neu eingepackt werden.
Wasser gab es am
Brunnen und so wie hier auch in jedem Ort entlang des Weges, "Aqua
Potable" ein Garant für sauberes Trinkwasser, aber nicht unbedingt gut für
jeden Magen.
Ehe ich mich versah war
ich startklar, bereit für den ersten Schritt, der "erste Schritt"
Ein spanisches
Sprichwort sagt:"El Camino
comienze en su Casa" "Der Jacobsweg beginnt vor Deiner Haustür"
Doch für mich hatte
sich im laufe der Jahre ein kleines Ritual geprägt, er begann jeden Tag mit dem
ersten Schritt, ein kleines Innehalten, "Herr segne und behüte mich und
lasse dein Antlitz über mich walten"
Und ehe ich mich versah
ging ich los, keinen Gedanken verschwendete ich mehr an den Nachmittagszug. Das
Lied "Ultreia et Suseia" auf den Lippen, gepfiffen, nicht gesungen!
Es hörte auf zu regnen,
die Wolkendecke riss auf und die ersten Sonnenstrahlen vertrieben den letzten
dunklen Gedanken, so ging ich los, zwar noch nicht auf dem Weg angekommen, doch
das wird schon, dessen war ich zuversichtlich.
Sicher die richtige
Richtung zu gehen war ich einige Stunden später, als mich Jean Jaques
freudestrahlend und mit offenen Armen empfing "ah Pilgeeeer" und das
Gefühl angekommen zu sein hatte ich als ich am Abend "Jan de
Bayonne", Jan aus Bayonne, vor der Gite parken sah, der oben am "Col
de Bentarte" stand und die Pilger zählte, die über den Paß gingen.
Ich war angekommen!
Wie Jedes Jahr, alles
war wie immer. Nebenbei besserte er seine Rente mit dem Verkauf von kleinen
Snacks, Kaffee und Tee auf, Seine Freundin Angelika aus Dresden half ihm in
Ihrem Urlaub und genoss das freie und ungebundene Leben in den Bergen.
Den Umstand, dass wir uns heute hier
trafen verdanken wir einem Fuchs, der ihm letzte Nacht die gekochten Eier
weggefressen hatte, er wollte sich Nachschub bei Jean Jaques besorgen.
Ich war angekommen!
Zum Abendessen gab es
eine Arlesienne, so was ähnliches wie ein Gemüse Eintopf, Suppe, na ja es gibt
ja auch noch Weißbrot welches ich hineinbröckelte um die „Brühe zu vertreiben“
Auch eine deutsche
Pilgergruppe ist anwesend und übernachtet in der Gite, achtzehn Pilgerinnen und
Pilger die eine Pilgerreise bei einem Reiseveranstalter gebucht hatten. Rundumversorgung, das
Gepäck wurde zum nächsten Etappenziel gefahren und wer fuß lahm ist wird gleich
mitgenommen.
So geht es mit leichtem
Gepäck über die Etappen, in 10 Tagen nach Santiago, Compostela inklusive. Ich halte mich bedeckt, jeder nach seiner Facon, doch
Rafael, ein spanischer Pilger und Ernesto, sein in Paris lebender, deutscher
Freund, aus Lourdes kommend, nehmen diese Begegnung zum Anlass in Roncesvalles
hinüber nach San Sebastian auf den Camino del Norte zu Wechseln. Der Umstand, dieser Gruppe in Orisson zu begegnen
beschert mir eine Zwei Bett Kammer unter einem der Seitendächer, das ich mit
einem Österreicher teile, da die Gruppe alle Gemeinschaftsräume belegt. Jan, der deutsch spricht und am Nachmittag auf der
Terrasse einige Geschichten zum Besten gab wurde von ihnen zum Abendessen
eingeladen, man schmückt sich gerne mit „Eingeborenen“.
Am Sonntagmorgen geht es früh los, ein kleines
Frühstück und ich verabschiede mich von Jean Jaques, er kam gerade aus dem
Saint Jean herauf, wo er mit seiner Familie lebt.
Die aufgehende Sonne im Rücken geht es weiter in die
Pyrenäen, doch das schlimmste hatte ich schon gestern, mit Erreichen der Gite
d´Orisson, geschafft. Ich startete an diesem Morgen auf 800 m Meereshöhe und
der Weg sollte mich bis zum Mittag auf 1400 m führen, bevor es vom Col de
Lepoeder hinunter nach Roncesvalles ging.
Schon wenige Meter hinter der Gite spitzte ich die
Lippen und Pfiff das Ultreia Lied.
Es war Vormittag als ich bei Jan, unterhalb des Col de
Bentarte ankam, ich lag gut in der Zeit und genehmigte mir eine Stunde Rast, so
jung kommen wir nicht mehr zusammen, zuerst einmal eine eiskalte Cola und bevor
ich ging gab mir Jan noch eine Tasse Kaffee aus.
Nun drängte es mich aber wieder auf den Weg, der
Roland Brunnen war mein nächstes Ziel, doch dieses Jahr hatte ich genügend
Wasser mitgenommen, auch ging es etwas zügiger als im Vorjahr.
Aber erst einmal ging es über den Col de Bentarte,
dessen Felsen tatsächlich so aussehen als hätte Roland sie mit seinem Schwert
geteilt. Der Weg führt nun durch ein ausgedehntes Waldstück zu dessen rechten
Seite man ins Tal hinunterblicken kann.
Ich bin dankbar für den Schatten, denn dafür dass es
morgens so kühl losging ist es nun heiß.
Der Rolandbrunnen ist von Pilgern umlagert, ist er
doch der erste Brunnen seit dem Aufbruch in der Früh. Ich halte mich nicht lang
auf, gehe aber nicht ohne das Wasser zu probieren, ob es immer noch so bitter
ist wie im Vorjahr und bin angenehm überrascht.
Es ist erfrischend gut, vielleicht liegt es doch an
der Einfassung, die jedes Jahr erneuert wird.
Im gleißenden Licht der Mittagssonne geht es nun,
vorbei an der Schutzhütte, in der ich mit Frederic, ein Jahr zuvor
übernachtete, hinauf zum Col de Lepoeder.
Der Himmel über Navarra ist strahlend blau und bei der
Überquerung des Passes kommt mir in den Sinn „ich bin das erste Mal trockenen
Fußes über die Pyrenäen“
Eine kurze Rast bevor ich mich auf den Weg ins Tal
begebe, ich kann das Wegkreuz sehen, an dem sich der Weg teilt. Zum einen die
Straße entlang und zum anderen das steilere und einen Kilometer kürzere Stück
durch den Wald.
Aber ich verschiebe die Entscheidung, zuerst einmal
lasse ich meine Gedanken schweifen, man kann weit ins Land blicken, so klar ist
die Luft.
Vor meinem geistigen Auge ziehen die kommenden Tage
und Wochen und viele hundert Kilometer herauf. Ich freue mich auf Roncesvalles,
die alte Herberge, den Schnarchsaal, wie sie auch unter Pilgern genannt wird.
„Von guten Gedanken wohl getragen“ entscheide ich mich
für die Straße und mache mich an das letzte, aber nicht unbedingt leichtere
Stück des Tages, nun geht es von 1400 Höhenmetern ins Tal auf 1000 Höhenmeter
über den Ibañeta Paß nach Roncevaux, wie es in Frankreich heißt.
Schon nach wenigen hundert Metern bereue ich es, die
Straße gewählt zu haben, durch den Wald wäre es jetzt etwas kühler, doch ein
Blick zurück, hinauf zum Paß vertreibt jeden Gedanken an eine Umkehr.
Bald schon sieht man das Kloster von Roncesvalles in
der Ferne, zum greifen nah und doch so weit entfernt, ich werde wohl noch zwei
Stunden unterwegs sein.
Ich nutze die Pfade die die Serpentinen abkürzen um
nicht auf dem heißen Asphalt gehen zu müssen, was mindestens genauso in die
Beine geht als wenn ich das Waldstück gegangen wäre. So erreiche ich am frühen
Nachmittag die kleine Kapelle auf dem Paß, nur wenige hundert Meter vor dem
Kloster.
Jetzt zieht das Bett, ja, nach dem ersten Tag freue
ich mich auf eine heiße Dusche und mein Bett. Doch meine Freude sollte noch
gewaltig ausgebremst werden.
![]() |
Herberge in Roncesvalles |
Auf dem Weg zum Pilgerbüro, in dem es auch die
Zuteilungsmarken für das Bett in der Herberge gibt, sah ich Pilger in den
Klostertrackt gehen, eigentlich zu früh für die Abendandacht. Ich ging zügig
weiter und stand bald darauf vor einer verschlossenen Tür,
![]() |
Der alte "Schnarchsaal" |
ein Schild wies daraufhin das die Herberge nun im
Kloster untergebracht ist.
Ich ging den Weg wieder zurück und betrat die neue
Pilgerherberge, einen richtigen Empfang und abgeteilte Vierbettkabinen, sehr
modern.
Das einzige was an die alten Zeiten erinnerte waren
die Holländischen Jakobsfreunde die die Herberge betreuen.
So geht
ein schöner Pyrenäentag doch noch mit einem Hauch von Wehmut zuende.
Camino 2012
Von Sarria nach Santiago
Sarria - Portomarin
* * * * * *
Noch einmal machen wir uns
auf den Weg mit Pellegrino, der den Francés nicht nur abwechselnd mit seinen
Kindern während der Sommerferien - also zur ‚belebtesten‘ Zeit – gegangen ist,
sondern auch immer wieder alleine. Und vor allem immer wieder den Camino
Francés, den er wohl inzwischen kennt wie seine Wohnstube. Einschließlich der
Herbergen und Hospitaleros.
Immer wieder zieht es ihn
auf genau diesen Weg zurück und er zeigt uns dabei, dass man sich auch von den
vielzitierten ‚Pilgermassen‘ nicht unbedingt ab-schrecken lassen muss. Nein,
dass man sogar diesen besonderen Situationen nicht nur mit Gelassenheit
begegnen, sondern ihnen gar noch positive Seiten abgewinnen kann.
So geht er hier die Etappe,
die er beschreibt, nicht nur aktuell, sondern gedanklich auch nochmal in den
verschiedenen Vorjahren und mit den verschiedenen Mitpilgern.
Zum leichteren „Mitgehen“
für den Leser sind diese Passagen aus der Vergangenheit kursiv gedruckt. Es
handelt sich also bei diesen Kursiv-Passagen nicht um
Kommentare der Herausgeber.
Nicht zuletzt gibt uns
Pellegrino in seinem Bericht Einblick in seine Gedanken über und seine Gefühle
für Galizien, wo sich alle Jakobwege und alle Jakobspilger schließlich treffen.
Das graue Galizien, das
feuchte Galizien, das kalte Galizien – aber auch das grüne, das sonnige, das
leuchtende und duftende Galizien und ersehntes Ziel der Millionen von Pilger in
über tausend Jahren.
36
Sarria nach Portomarin von Pellegrino
Claudio
G
rau und
regnerisch kündigt sich der Tag an, als ich die Herberge verlasse, nach einer
kalten Nacht steht mir jetzt erst einmal der Sinn nach einer Tasse Kaffee. Ich
bin in Sarria, dem Start meiner diesjährigen Pilgerreise. Doch eigentlich
begann alles schon viel früher.
Als ich
begann, meine ersten beiden Beiträge für unser Forums-Buch zu schreiben, kam
mir auch die Idee für diesen Beitrag.
Für
Caroline war der schönste Abschnitt, an den Sie sich immer wieder gerne
erinnert, der von Azofra über Grañon nach Belorado, „weist Du, da wo wir beim
Kochen mitgeholfen haben, Mama da haben wir Pfirsiche aus der Dose
gefrühstückt, waren die lecker“. Aber ich weiß, dass es die Abendandacht in
Grañon war, die sie in ihren Bann gezogen hatte. Ebenso wie der Abend bei Tomás
in den Bergen in Manjarin ….
Für Frederic
war es die Strecke über die Pyrenäen. Das begann schon kurz hinter Bayonne mit
einem verzückten „Boah“, dem in den nächsten Tagen noch weitere folgen sollten.
So zum Beispiel, als wir morgens in Huntto aufbrachen und kurz vor Orisson, die
Serpentinen hinauf, den Nebel verließen und Frederic zurückblickte, da meinte
er andächtig „man könnte meinen, man blickt über das Meer“.
Auf meinem
‚Camino Solo‘ im folgenden Jahr war es die Strecke über Sarria nach Portomarin
gewesen, als ich mit Gitte vom O Cebreiro kam und am nächsten Morgen Attila in
einer kleinen Bar kennenlernte. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, aber bis
zum Ende in Fisterra trafen wir uns immer wieder und am letzten Abend feierten
wir gemeinsam mit Gitte ihren Geburtstag, wozu sich auch noch Gerda von der
Deutschen Pilgerbetreuung in Santiago dazugesellt hatte. Alles in allem, ein
gelungener Abschluss.
So kam mir
der Gedanke, diesen Beitrag an Ort und Stelle zu schreiben und dabei die
letzten hundert Kilometer zu gehen.
Heute Morgen
sitze ich nun in der kleinen Bar in Sarria, neben der Herberge direkt am
Jakobsweg, bei einem Kaffee Solo und lausche dem ‚Tack Tack‘ der Pilgerstöcke.
Im November sind es nicht mehr so viele.
Ich genieße
die Ruhe und freue mich auf die bevorstehenden Tage in Galicien, einmal ohne
Hast und Hetze von Sarria nach Santiago – 110 Kilometer, für die ich mir zehn
Tage Zeit lassen möchte. Doch gestern Abend auf dem Weg vom Busbahnhof hinauf
zur Herberge konnte ich schon erahnen, dass ich diese Zeit auch benötigen würde.
Gestern um
15.45 Uhr landete ich mit Ryanair in Lavacolla. Dann sollte es mit dem Bus nach
Santiago gehen, da ich nicht gedacht hatte, den Bus nach Lugo um 16.16 Uhr noch
zu bekommen.
Umso erstaunter war ich, als ich kurz vor vier schon an der
Bushaltestelle stand und somit am gleichen Nachmittag noch nach Lugo kam. So
ging es mit dem Bus den Camino rückwärts, zumindest bis kurz hinter Melide,
bevor der Bus dann nach Norden abbog. Immer wieder sah man Pilger und es waren
nicht wenige, die um diese Zeit noch unterwegs waren.
Wir fuhren in den Abend und
die Dämmerung schlug mir aufs Gemüt und je weiter wir in die Nacht fuhren, umso
mehr kamen mir die Zweifel. Als wir dann aus den Hügeln kamen und Lugo zu sehen
war, war es auch um meine Stimmung vollends geschehen, grau und düster lag die
Stadt im letzten Licht des Tages und zeigte sich nicht gerade von ihrer besten
Seite. Auch wenn ich mich schon mal über die Übernachtungsmöglichkeiten in Lugo
informiert hatte, nun standen meine Gedanken nur noch auf Flucht. So erkundigte
ich mich, in Lugo angekommen, gleich nach einem Bus nach Sarria und auch dieses
Mal war das Glück auf meiner Seite, um halb sieben war Abfahrt.
In Sarria angekommen regnete
es in Strömen und ich begab mich auf die Suche nach einem Bett. Jetzt wollte
ich nur noch eine heiße Dusche und das Bett, doch die meisten Herbergen waren
geschlossen, so ging ich den Camino immer weiter hinauf Richtung Stadtrand und
wurde in der Albergue Don Alvaro fündig.
„Una cama
por favor?“ – „Si!“ – „Abajo?“ – „Si!“ – Der Abend war gerettet und somit auch die kommende Nacht,
ich bekam wie gewünscht ein Bett ‚unten‘ und als Draufgabe war ich der einzige
im Zimmer. Doch es wurde eine kalte Nacht.
Nun sitze ich
in der kleinen Bar und ich erinnere mich als Caro und ich vor Jahren in der
Albergue International übernachteten.
Vom O
Cebreiro kommend waren wir die Nacht bis kurz vor Sarria durchgelaufen und
hatten in einer Bushaltestelle übernachtet. Mit dem ersten Bus sind wir dann
nach Sarria gefahren und nach einem heißen Kaffee haben wir uns auf die Suche
nach einem Bett gemacht, überall wo wir hinkamen ‚Completo‘, nur in der
Internationalen Herberge war noch etwas frei.
Was dann
kam, würde Kaya Yanar zur Ehre gereichen, so nach dem Motto „du kommst hier ned
rein“, nur für ‚reservierte Gäste‘ und da wir nicht reserviert hatten, …
„kommst du hier ned rein!“. Ich blickte zu Caro hinüber und als ich dieses
Häufchen Elend sah, mir ging es auch nicht besser, schwoll mir der Kamm und ich
machte dem Concierge unmissverständlich klar, dass wir hier nicht weichen
würden, es sei denn in ein Bett dieser wunderbaren Herberge, die sicherlich auf
das Wohl der Pilger bedacht sei, die schon seit hunderten von Kilometern
unterwegs waren.
Um sein
Gesicht zu wahren, füllte er einen Reservierungsschein aus und meinte, „die
Betten werden aber erst um 12 Uhr fertig“, kassierte 10€ im Voraus für jedes
Bett und verlangte meinen Ausweis „für die Meldestelle“.
Doch dem Funkeln seiner Augen sah ich an, dass er
jetzt nur auf Gegenwehr wartete, doch den Gefallen tat ich ihm nicht. So gingen
wir erst einmal in den Supermarkt einkaufen und neben der Kirche auf einer Bank
gab es dann ein herzhaftes Frühstück.
Als wir
dann Punkt 12 Uhr in der Herberge auftauchten, meinte er mit ernster Miene, uns
eine Hand mit gespreizten Fingern entgegenstreckend, „cinco minutos por favor“
– ‚noch fünf Minuten‘ …
So bekamen
wir Betten direkt am Camino und draußen hörte man das ‚Tack Tack‘ der
Pilgerstöcke. Ein Geräusch das ich mein Leben lang in den Ohren behalten werde,
es ist wie Musik.
Heute bin ich
spät dran, aber ich sehe dem recht gelassen entgegen, ich habe Zeit, möchte
Galizien genießen. Dementsprechend sind auch meine Etappen geplant, kein
Rennen, keine Hetze und vor allem keine Flucht. Pilgerfreund José Maria meinte
bei unserem letzten Treffen, „weißt du, ab Melide bin ich nur noch geflohen“.
Ich kenne das,
denn bisher war in Galizien immer der Moment gekommen, an dem ich die Flucht
ergriff, mit Caro war es in Arzua, mit Frederic in Melide und letztes Jahr
überkam es mich in Palas de Rei. In Santiago habe ich sogar noch mittags vor
der Pilgermesse die Stadt verlassen, Richtung Meer, Fisterra war damals mein Ziel.
Als Caroline
und ich vor Jahren hinauf zum O Cebreiro gegangen waren, sagten wir einhellig,
dass alles, was wir bis jetzt gesehen hatten, durch nichts zu toppen wäre. Die
Pyrenäen und deren Ausläufer in Navarra, die Weinberge des Rioja, die endlosen Weiten
der Meseta in Kastilia y Leon und dahinter die Montes mit dem Cruz de Ferro,
das Bierzo mit seinem beschwerlichen, aber wunderbaren Camino Duro. Alles
wunderbare Landschaften und Sonne pur. Und nun Galizien, kalt, stürmisch und
regnerisch, Pilgermassen schon auf dem O Cebreiro. Und dann erst! Hinter Sarria
auf den letzten hundert Kilometern!
Doch Galizien
sollte einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen. Als ich das
erste Mal auf dem O Cebreiro stand, dachte ich, „Ja, so muss die Welt aus
Gottes Augen aussehen“. Hier treffen die Klänge der Natur die menschliche
Vorstellungskraft. Roncesvalles, Pamplona, Burgos und Leon, das sind Etappen,
da nimmst du den Atem der Zeit in dich auf. Du inhalierst die Historie, all die
Millionen von Pilgern die in den letzten Tausend Jahren ihren Weg gegangen
sind. Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr, unbeirrt zogen sie nach
Westen, den Sternen entgegen.
Doch hier in
Galizien ist es anders, die Luft ist frisch, es duftet nach grünem Gras und
später wird sich noch der Duft der Eukalyptuswälder dazu gesellen. Die
Farbenpracht der Hortensien
und Magnolien im Kontrast zu den grauen Natursteinhäusern.
Und das nahe Meer. Vor allem aber, ‚Sie reden mit dir‘, ja es klingt verrückt,
aber die Eukalyptusbäume reden mit dir. Anfangs nur ein Knarzen und Knarren,
untermalt von dem Rauschen der Blätter im Wind, doch irgendwann erkennst du
eine Melodie, die deine Seele berührt. Wenn die Natur Gottes eine Kathedrale
ist, dann ist Galizien der Tabernakel, das ‚Allerheiligste‘.
Schon oben auf dem O Cebreiro
meint man das Meer, weit im Westen, erkennen zu müssen, doch es ist noch viel
zu weit entfernt.
Sieben Tage noch bis Santiago
und dann nochmal vier Tage auf dem Camino Fisterra, dem Weg ans Ende der Welt.
Doch mein Weg beginnt dieses
Jahr in Sarria, eigentlich zog es mich schon auf den O Cebreiro, doch das
schaffe ich nicht, denn ich will ja noch ans Meer gehen.
Ich erinnere mich an die
vergangenen Jahre, diesen Weg ging ich schon mit Caroline und Frederic.
Letztes
Jahr saß ich draußen mit Freunden und genoss den etwas trüben, aber doch
schönen Nachmittag. Rudy aus Frankreich mit seiner italienischen Freundin, Ann
Louise aus Norwegen und deren Clique, waren in der Albergue Municipal und Gitte
und ich wollten noch weiter nach Barbadelo. Na ja, ursprünglich war mein Ziel
Sarria, doch wieder einmal war alles ‚Completo‘ gewesen. So schloss ich mich
Gitte an.
Wir trafen
uns in La Faba. Eigentlich kannten wir uns schon seit zwei Jahren aus unserem
Forum, aber eben ‚nur‘ aus dem Forum. Und das Kuriose daran war, wir waren uns
das erste Mal begegnet in der Ermita del Ecce Homo kurz hinter Astorga, hatten
kurz miteinander geredet, bevor ich weiter Richtung Rabanal gegangen war. Als
wir uns dann nochmal in El Ganso getroffen hatten, meinte sie, sie würde wohl
in der Herberge im Ort bleiben.
Abends
bekam ich dann eine SMS von Petra, einer befreundeten Pilgerin, ob ich denn
wisse, dass ich mit Gitte aus dem Forum geredet hatte?
In La Faba,
fünf Tage und 100 Kilometer später, trafen wir uns wieder in der Schwäbischen
Herberge bei einer Rast.
So kam es,
dass wir dann gemeinsam aus den Bergen durch Sarria gingen, Portomarin war mein
Ziel und Gitte wollte weiter.
So gehe ich
heute Morgen Richtung Portomarin, doch schon bald zeigt sich, dass heute ‚nicht
viel geht‘. So komme ich gerade mal bis Rente, wo ich mir in der Casa Nova ein
Zimmer nehme. Schon in Barbadelo habe ich mir in der Servicestation, einer zum
Automatenraum umgebauten Scheune, eine ausgiebige Pause erlaubt. Seit einigen
Monaten wird sie von Abdullah, einem jungen Marokkaner betreut, der Besitzer
der Albergue Barbadelo hat findiger Weise einen gutflorierenden Souvenir-Shop
daraus
gemacht. Für mich bedeutet es aber erst einmal Rast, ‘ne Cola und
Kaffee, dazu noch Ansichtskarten für die Lieben zuhause.
Um es mit Hermann Hesses
Worten zu sagen, „manche Leute sagen, das Durchhalten mache uns stark, doch
manchmal ist es gerade das nicht
Durchhalten, was uns
stark macht“. So beschließe ich, meine Etappen zu teilen und jede in zwei Tagen
zu gehen, so werde ich Santiago erreichen und dort noch einige Tage bleiben, so
mein Plan am Ende meines ersten Pilgertages.
Dieses Jahr
erlebe ich das Pilgern einmal von einer anderen Seite. Haben wir uns immer über
die „Edelpilger“, Pilger mit leichtem Gepäck, die nur die letzten hundert
Kilometer gehen, lustig gemacht, so gehöre ich nun auch zu dieser Spezies. Ich
sehe das Pilgern einmal aus einer anderen Perspektive und ich denke, wenn man
sich ein Urteil darüber erlauben will, sollte man wissen, worüber man urteilt.
Eine finnische
Pilgerin, mit der ich heute Morgen ins Gespräch kam, meinte, nachdem ich
scherzhaft sagte, „ich komme jedes Jahr auf den Camino, um meine Seele zu
suchen“, „nein, du hast sie nicht verloren, das sehe ich in deinen Augen!“ Sie
zeigte mit einer Handbewegung in die Runde, auf den moosbewachsenen Baum und
die Farne und Gräser und meinte, „das alles erinnert mich an meine Kindheit, an
Alice im Wunderland“. Als wir uns später nochmal trafen, meinte ich zu ihr,
dass sie wohl Recht hat, es wäre doch mein Herz, das ich an Galizien verloren
habe. Als ich ihren Blick sah, fügte ich schnell hinzu, „weißt Du, ich liebe
meine Familie, doch das mit dem Camino ist etwas anderes“. – „Ich versteh Dich
schon, hier sind alle gleich, egal was du bist, ob Professor, Arbeiter oder
Hausfrau, wir sehen alle gleich aus.“
So sitze ich
nun in der Casa Nova, im einzig geheizten Raum und warte auf das Abendessen. Es
duftet danach, der Tisch ist gedeckt, aber alles ist dunkel, ich meine die
Spanier sind ja bekannt für ihr spätes Abendessen, doch es ist schon nach halb
neun, oder hat man vergessen die Uhr umzustellen!?
Aber wenn ich
ganz ehrlich bin wäre mir eine heiße Dusche, ein warmes Bett und eine Flasche
Vino Tinto jetzt lieber.
Auf die heiße
Dusche verzichte ich, da das Badezimmer eiskalt ist. Die Flasche Vino geht
wegen meiner Medikamente nicht, einzig das warme Bett bleibt mir, da wenigstens
auf meinem Zimmer die Heizung angesprungen ist. So gehe ich ohne Abendessen
schlafen, macht auch nichts, schon öfter habe ich von meiner ‚Masse gezehrt‘.
Draußen stürmt
es, es ist eine regnerische Nacht, doch was soll´s, als ich zum Frühstück
komme, sitzen noch drei Pilger in der
Gaststube. Sie sind zeitig in Sarria gestartet und suchen nun
Schutz vor dem stärker werdenden Regen. Heute ist Frühstück angesagt, Toast,
Butter und Kekse, dazu ein Stück Kuchen, aber worauf es mir eigentlich ankommt,
ist frischer Kaffee. Die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens.
Ein Nieselregen empfängt mich,
doch ich bin gut eingepackt, meine Regenkleidung hält nicht nur dicht, sondern
auch warm. Wie heißt es doch so schön, ‚die Kunst zu Leben besteht darin, zu lernen im Regen zu
tanzen, anstatt auf die Sonne zu warten‘. So gehe ich an diesem Morgen meinem
ersten Punkt der Erinnerung entgegen, Mercado.
Nachdem
Gitte und ich uns letztes Jahr in Barbadelo getrennt hatten, kehrte ich in
dieser kleinen Bar an der Kreuzung hinter Rente, kurz vor Mercado ein. Draußen
war noch ein Tisch frei und ich holte mir, nachdem ich meinen Rucksack
abgestellt hatte, einen Kaffee. Einfach mal die Seele baumeln lassen, ich war
gut in der Zeit und würde mir die ein oder andere Pause leisten können. So hing
ich meinen Gedanken nach, als mich ein junger Pilger ansprach. Ich deutete auf
die Stühle und nickte ihm zu.
Wir waren
uns schon öfter begegnet, aber nie ins Gespräch gekommen, es hatte sich nie
ergeben. Was mir als allererstes auffiel, waren die Augen, dieser verlorene,
suchende Blick, der allen Schmerz dieser Welt in sich trug. Ich deutete mit
einer Kopfbewegung auf seine Tasche, auf der ein Pilger-Sticker mit einem
rot-weiß-grünen Rand aufgenäht war und sagte, „Italiener?“ Und er antwortete,
„nein, Ungar!“ Mir fiel der ungarische Pilger namens Attila ein, von dem Gitte erzählt
hatte. Er war mit der Asche seiner verstorbenen Frau unterwegs nach Fisterra,
um sie dort im Meer zu versenken. So sagte ich zu ihm, „Du bist Attila, ich
habe von dir gehört!“ Er lächelte und meinte, ich sei wohl mit einer deutschen
Frau gelaufen. Ich sagte, „Gitte?“ und er nickte. Ich erzählte ihm die
Geschichte, wie wir uns in La Faba getroffen hatten, aber eigentlich schon seit
Astorga immer wieder begegnet waren. Attila - ich sollte Ihn noch öfter
treffen, und irgendwann begann er zu erzählen, von seiner Frau, wie sie
gemeinsam gepilgert waren und wie sie vom Tod von seiner Seite gerissen wurde.
In Ungarn
hat man die Möglichkeit, seine Asche auf einer anonymen Wiese beerdigen zu
lassen, da wird die Asche in die Luft geblasen und eine Sprinkleranlage
verhindert, das die Asche über den Rand der Wiese hinweg geblasen wird. Einen
kleinen Teil bekam er in einen Kristall eingefasst und mit diesem sei er nun
unterwegs. Es war der Beginn einer bis heute anhaltenden Freundschaft.
Selbst auf die
kurze Strecke werde ich heut ‚nass wie die Katz‘ und zu allem Überdruss ist die
Bar auch noch geschlossen, was bedeutet, dass aus meinem Kaffee ein frisches Cerveza
con Lemon, ein Radler oder im Norden ‚Alsterwasser‘ wird. Aber erst in
Morgade. Zuvor kommt noch der ‚Hundertkilometerstein‘ kurz hinter Brea.
Auf dieser Strecke trafen Frederic und ich, zwei Jahre
zuvor, das erste Mal auf die französischen Pfadfinder, dutzende Gruppen,
hunderte Pfadfinder. Frederic war hin und weg, das sprengte alles, was wir die
letzten Wochen erlebt hatten.
Auch
Caroline und ich hatten hier eine Begegnung der besonderen Art. Am
‚Hundertkilometerstein‘ trafen wir auch Rimini, den wir schon seit Tagen nicht
mehr gesehen haben, wieder. Wir nannten ihn nur Rimini, ein Italiener, der in
seiner Heimat Italien, in Rimini, zu Fuß gestartet war. Wir trafen ihn das
erste Mal in Grañon, in der Herberge, ein einfacher Pilger, der immer ein
Lächeln übrig hatte und sich über jeden freute, den er wiedertraf. So wurden
wir ‚Pilgerfreunde‘. Mal liefen wir miteinander, mal trafen wir uns tagelang
nicht, dann mal wieder abends in der Herberge, unverhofft, doch der Jubel war
groß und alle teilten unsere Freude. Am allermeisten stolz war der Hospitalero in
Astorga, der beobachtete, wie fertig und abgekämpft wir nach 32km in der
sengenden Sonne ankamen und erst mal auf die Stühle vor der Herberge sanken und
platt waren. Später in der Herberge kam Rimini und wir führten einen
Freudentanz der Begrüßung auf, wie weggeblasen war die Erschöpfung, man spürte
förmlich, wie stolz der Hospitalero war, solche Begegnungen zu erleben!
Ich
schweife mal wieder ab. Was ich eigentlich sagen wollte, wir liefen in Sarria
morgens früh los und trafen am Vormittag auf Rimini, den wir das letzte Mal im
Bierzo gesehen hatten. Schon von weitem fuchtelte er mit den Armen und rief uns
was zu, aber wir verstanden nichts, denn das Bezeichnende an dieser
‚Pilgerfreundschaft‘ war, er sprach kein Deutsch und wir kein Italienisch, aber
wir ‚unterhielten‘ uns gerne. Als wir bei ihm ankamen, wurde uns klar, wir
stehen am ‚100-Km-vor-Santiago-Stein‘, wir begannen uns gegenseitig zu
fotografieren und im nu war eine Pilgeransammlung um uns entstanden. Eine
Spanierin meinte, mit ihrem Credencial angeben zu müssen, der - obwohl erst
wenige km in Galizien unterwegs - schon 10 Stempel hatte, wobei sie erst am O
Cebreiro gestartet war.
Worauf
Rimini seine Credenciales zückte und ein Raunen durch die Menge ging.
Was mich
aber richtig stolz macht, mit diesem Pilger den Weg teilen zu dürfen - wir
kamen an, freuten uns über die letzten hundert Kilometer und man sah das Glück
auch seinem Gesicht an, und dann kam die Geschichte mit den Credenciales. Er
wäre einfach weitergegangen, wären da nicht die "Prahlpilgers"
gewesen. Bei der ganzen Aktion sprach er kein Wort, doch ich ahnte seine
Gedanken, es waren Gedanken des Glücks und der Dankbarkeit, mehr nicht und ich
glaube, das konnte man an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Er machte Rast und
wir gingen weiter, so wie die letzten 500km aber ich hätte gerne seinen Gesichtsausdruck gesehen,
als er dann einen Kilometer weiter vor dem ‚richtigen‘
100-km-vor-Santiago-Stein stand. Wir hatten nämlich am alten Stein „gefeiert“,
denn da sich die Wege immer wieder änderten, verändert sich auch die Distanz
hin und wieder. Frederic und ich hatten hier ein Jahr später ein ‚Fotoshooting‘
mit den Pfadfindern und in den nächsten Tagen hörten wir immer wieder von
vorüberziehenden Jungs ein „Hola Frederico“ oder „Hola Claudio“, jeder kannte
uns natürlich von unseren Namensschildern am Rucksack.
Es regnet immer noch, als ich am Stein ankomme, ein Ehepaar
erwartet mich schon freudig mit der Kamera in der Hand, ich lächle, denn nun
muss ich nicht auf die nächsten Pilger warten, um diesen ‚geschichtsträchtigen‘
Moment festzuhalten. Schnell einige Fotos geschossen und schon geht es weiter,
es ist viel zu ungemütlich und so geht es zielstrebig Morgade entgegen.
Die Bar füllt sich und ich
nehme gleich einen Stuhl am Ende des Raumes in Beschlag und ehe ich mich
versehe, machen sich vier Holländer an dem Tisch breit. Ja so kennt man sie. Am
Nebentisch seh‘ ich einen freien Stuhl und deute darauf, ein Pilger in meinem
Alter nickt und meint nur „Crazy Dutch“. Die beiden Pilger am Tisch sind David,
ein Texaner und Justin, ebenfalls aus Amerika. Als ich grinse, meint Justin,
der jüngere von beiden, da sei wohl ein Unterschied! Beide sind in Saint Jean
Pied de Port gestartet und schon fast vier Wochen unterwegs und ich entgegne,
„so schnell habe ich es noch nie geschafft“. Worauf David meint, „Du bist schon
öfter gegangen?“ und ich erzähle ihm die Geschichte.
David begeistert sich gerade
an einer Plato
Combinado und meint,
DAS sei ein American Breakfeast, mit dem spanischen Frühstück könne er
sich nicht anfreunden. Wer um alles in der Welt versaue seinen Kaffee mit Milch
und esse dazu noch trockenes Brot! Nun, zumindest beim Kaffee kann ich ihm
zustimmen. Ich habe hier eine längere Rast eingeplant und während die beiden
wieder aufbrechen, überlege ich noch, ob ich eine Caldo Galego, eine
galizische Kohlsuppe esse. Ihr Ziel ist Portomarin, ich hingegen will nur nach
Mercadoiro, das reicht mir, so kann ich am nächsten Tag über Portomarin nach
Gonzar gehen. Als ich dann meine Kohlsuppe bestellen möchte, gibt es keine
mehr, eine koreanische Pilgergruppe habe das Zeug literweise in sich
hineingeschüttet, meint der Wirt und ich sage „y cerveza!“, worauf er
antwortet, „si, y cerveza“, und Bier. Diese Gruppe gehe den Weg im Bierrausch.
Ich
entschließe mich zum Aufbruch, um in Fereiros an einem kleinen Rastplatz meine
Pause fortzusetzen, ich hab‘s ja nicht mehr weit. Mittlerweile haben sich die
Wolken gelichtet und die Sonne kommt hervor, es wird hell und das mittags um
halb zwei. Der Rastplatz ist zwar vom ‚Sturm des Sommers‘ etwas in
Mitleidenschaft gezogen, aber doch noch ganz passabel.
Wieder einmal
hänge ich meinen Gedanken nach, als unverkennbar ‚koreanisches Gezeter‘ meine
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Einige Koreanerinnen, die das Schild vor der Bar
begutachten, sind ziemlich aufgebracht, als sie lesen das hier eine Plato
Combinado gerade mal 50 Cent mehr kostet als vor einigen Kilometern ihre
‚Wassersuppe mit einigen Kohlblättern drin"
An diesem Nachmittag komme ich unerwartet zügig voran, so
dass ich in Mercadoiro angekommen den Entschluss fasse, nach Portomarin
weiterzugehen.
Knapp 6km, dann steige ich in
Portomarin mit den letzten Sonnenstrahlen die Treppe zur Stadt hinauf und mein
Weg führt mich zielstrebig zur Albergue Porto Santiago. Schon seit Jahren
versuche ich, in dieser Herberge ein Bett zu bekommen, vergeblich, der Ansturm
im Sommer ist zu groß, und ich bin zu langsam.
Doch heute soll es klappen. An
diesem Abend erlaube ich mir etwas, was ich sonst immer vehement ablehne, ich
belege mein Bett und verzupfe mich sofort in die Stadt, suche mir ein
Restaurant und gönne mir ein Pilgermenü. Vor dem ersten Restaurant stehen zwei
alemannische Pilger und ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe zurück zu dem
kleinen Restaurant gegenüber der Kirche. Mein Magen knurrt, so bestelle ich mir
mein Pilgermenü mit Spaghetti und Hauptgang, danach eine Tarta Portomarin,
eigentlich das gleiche wie eine Tarta Santiago, nur mit weißen Mandeln. Zum
Abschluss gibt’s noch einen Kaffee.
Als ich später auf dem Weg zur
Herberge die Plaza Conde Fenosa, den Platz vor der Kirche überquere, sehe ich
noch einmal die ‚vielen Tausend‘ Pilger vor meinem geistigen Auge, die vor zwei
Jahren diese Plaza bevölkert hatten.
Frederic
und ich kamen abends nach Portomarin und restlos alles und jedes Bett war
belegt, die Albergue Municipal war Completo und die dazugehörige Notherberge
gegenüber war auch voll. Monika, unsere australische Mitpilgerin, war zügig durchgegangen
und hatte noch ein Bett ergattert. Frederic, Friderike und ich kamen zu spät
an, der Ort war voller Pilger. Wir pilgerten nun mal im Heiligen Jahr, 2010,
man rechnete mit einer Million Pilgern, doch bis jetzt hatten wir immer Glück
gehabt mit unseren Betten.
Als wir
gerade weiterlaufen wollten, kam Cindy, eine amerikanische Mitpilgerin. Sie
hatte in der öffentlichen Herberge noch ein Bett bekommen und forderte uns auf
mitzukommen, sie wisse, wo es noch Betten gebe. Sie führte uns die Straße neben
der Herberge hinauf und etwa 50 Meter weiter oben sahen wir ein altes,
leerstehendes Haus, na ja, jetzt nicht mehr, es wimmelte nur so von Pilgern und
ich dachte, der Ort platzt wirklich aus allen Nähten.
Das
leerstehende Gemeindehaus wurde für die Pilger geöffnet und es war brechend
voll, wenn man reinkam links und rechts jeweils zwei Räume mit je 30 Pilgern
auf dem Boden, Friderike bekam oben noch einen Schlafplatz, den letzten im
Haus. Als wir wieder runterkamen, wurde gerade noch der Wintergarten geöffnet,
wir mussten ihn nur sauber machen, so legten wir alle Hand an und bekamen einen
Platz für die Nacht. Die Toiletten waren in einem Seitengang und nur in der
Hinteren funktionierte das Schloss. Wenn man also auf die Toilette musste,
schnappte man sich den nächsten Pilger, der vorbei kam und postierte ihn vorne
am Korridor, er schob Wache.
Als wir später vom Einkaufen zurück durch die Calle
General Franco kamen, war die Plaza voller Pilger, doch auf einmal verdichtete
sich die Pilgermenge noch weiter und von hinten kamen immer mehr Pilger auf die
Plaza. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass am Abend noch 1.400 Pilger in der
Stadthalle untergebracht worden waren. Ich schätzte die Zahl der Pilger in Portomarin
an diesem Abend auf über 2000.
Ein Tag
inmitten von hunderten Pfadfindern und voller Erlebnisse für Frederic war zu
Ende gegangen, aber auch ein Tag, der uns erahnen ließ, was noch auf uns
zukommen würde. Ab jetzt atmeten wir wirklich den Atem der Zeit, tausende
Pilger unterwegs nach Santiago, nach Wochen des Pilgerns waren es jetzt nur
noch wenige Tage, das Ziel war zum Greifen nahe, aber auch so etwas wie Wehmut
machte sich in mir breit.
Familiensache
Galicische Impressionen
Galicien im Herbst
Park Alameda mit Blick auf die Kathedrale
Santiago bei Regen
Rund um die Kathedrale
Ich sitze schon im Flugzeug
während meine
Seele noch etwas verweilt!