Forums Buch






"Virus" Jakobsweg - "Infizierte" melden sich zu Wort
Noch ein Buch zum Thema Jakobsweg? Gibt es nicht schon genug Literatur zu diesem Thema? Wir finden - Nein! Wir, das sind Menschen wie "du und ich", die ihren Traum bereits in die Wirklichkeit umgesetzt haben und kleinere oder größere Teile des Jakobsweges gegangen sind. Wir alle sind gleichzeitig Mitglieder des Internetforums www.jakobus-peregrino.de. Wir ließen uns von dem "Virus" Jakobsweg infizieren und sind uns sicher, dass er uns nie wieder loslassen wird.
Jede(r) von uns hat in den letzten Jahren viel Literatur zu diesem Thema gelesen, seien es Reiseführer oder Reiseberichte. Und trotzdem verlieren wir das Interesse daran nicht. Denn so verschieden, wie die Menschen sind, die ihn gehen, so verschieden sind auch die Geschichten, die der Camino - wie der Jakobsweg auch genannt wird - schreibt. Voller Begeisterung verfolgen wir aber auch Internetblogs oder Forumsbeiträge anderer Pilger. Und so haben wir festgestellt, dass jede(r) von uns seine Eindrücke und Erlebnisse auf seine eigene individuelle, aber ganz besondere Art und Weise schreibt.
Birgit Reichwein und Andrea Brückner hatten schließlich die Idee, das aufzugreifen und gemeinsam ein "Forumsbuch" zu schreiben. Ein Buch, das wir in dieser Form auf dem Markt noch nicht entdeckt haben. Kommen Sie mit uns auf den Camino Francés, den bekanntesten Jakobsweg im Norden Spaniens, und erleben Sie ein Potpourri von Erlebnissen, Gedanken und persönlichen Eindrücken. Wir haben uns selbst damit einen Traum erfüllt, möchten aber auch Sie daran teilhaben lassen. Daher richtet sich dieses Buch an alle, die bereits vom "Virus" Jakobsweg infiziert sind oder sich infizieren lassen wollen.
Die Autoren des Buches "Pilgerstimmen – Erlebtes und Gefühltes auf dem Jakobsweg – Pilger berichten"
VK 23,90€, ISBN 978-3848259076 © Andrea Brückner, Birgit Reichwein 03/2013 





Meine Beiträge




¡Hola Queridos! 
 Hallo Ihr Lieben!


Viele von Euch sind unsere Wege mitgegangen, in Gesprächen und in Rundbriefen live vom Weg, habe ich Euch immer wieder an unseren Jakobswegen teilhaben lassen.
Dieses Mal gibt es etwas ganz besonderes, letztes Jahr wurde ich von Freunden gebeten, mich an einem Buch über den Jakobsweg zu beteiligen, erst mit 2 Beiträgen, zum einen mit Caroline 2009 und zum anderen mit Frederic 2010, Auszüge aus meinen Tagebüchern. Im Laufe dieser Arbeit kam mir der Gedanke „warum nicht einen Beitrag über eine Etappe auf der ich mich der gemeinsamen Begebenheiten mit den beiden erinnere und zudem noch meine eigenen Erinnerungen vom Vorjahr mit einbringen konnte, Portomarin-  Sarria.                           
Schnell angemeldet konnte ich noch einen Platz auf dieser Etappe belegen und parallel zur Arbeit an diesen Beiträgen plante ich meinen dritten Beitrag. Als mir ein verwegener Gedanke kam, „warum nicht gerade diesen Beitrag direkt auf dem Weg schreiben?“  also auf der Strecke von Sarria nach Portomarin.
Der Gedanke nahm Gestalt an und als ich die Möglichkeit hatte bei Ryanair ein günstiges Flugticket nach Santiago zu bekommen ging ich in die konkrete Planung.
Nun geht der Winter seinem Ende zu, die Beiträge sind geschrieben und redigiert und der Druck steht bevor.                                                                                                                   
Aus diesem Anlass möchte ich Euch die Gelegenheit bieten diese Beiträge zu lesen 
2009 „Camino mit Caro“    (Kapitel 10-In der Hoffnung dass es klappt)
2010 „Camino mit Fredo“ (Kapitel 19-Azofra nach Belorado)
2012 „Camino Galicien“ (Kapitel 36-Sarria nach Portomarin)
werden in einem Buch veröffentlicht.
 Um Euch aber einen gesamt Einblick in Unsere Caminos zu bieten habe ich noch einen Beitrag von 2011 „Camino Solo“ in dieser Mappe dazugestellt. Dazu wählte ich die Etappe über die Pyrenäen, von deren Überquerung auch mein erster Beitrag mit Frederic handelt, damit möchte ich auch aufführen wie man auf gleichen Strecken verschiedene Eindrücke sammeln kann, was immer wieder zu Diskussionen führt.
Das Buch wird voraussichtlich im Frühjahr auf den Markt kommen. 
Titel:                         Pilgerstimmen: 
                                Gefühltes und Erlebtes auf dem Jakobsweg
                                    Von der Haustür bis zum Camino Francés und nach
                                    Santiago de Compostela
Herausgeber:             Birgit Reichwein, Andrea Brückner
ISBN:                        978-3-8482-5907-6

So wünsche ich Euch beim Lesen mindestens so viel Vergnügen wie ich beim Schreiben hatte und verbleibe bis im Sommer, wenn ich wieder einmal „Live berichte“ von meinem Camino mit Fine schicke.
Euer Pellegrino Claudio










Camino 2009
Von Pamplona nach Santiago
Azofra - Belorado






* * * * * *
Als nächstes ist Pellegrino Claudio auf dem Weg von Azofra nach Belorado, dieses Mal mit seiner Tochter Caroline, genannt Caro.









19 Azofra nach Belorado von Pellegrino Claudio

G

rau und wolkenverhangen zeigte sich der Himmel, als wir an diesem Tag in Azofra in den Tag starteten. Die ‚Hühnerschau‘ in Santo Domingo war unser Ziel, zwar nur 16km, doch das hatten wir uns verdient und einen Grund, etwas weniger zu gehen, gibt es immer. Es war Freitag, eine Woche waren wir nun schon unterwegs und mehr als 140km gelaufen, wir hatten allen Grund zur Freude und die berechtigte Hoffnung, in Santiago anzukommen.
Die ersten Schritte verhießen uns ein gutes Vorankommen, denn es war angenehm frisch und versprach, nicht zu heiß zu werden. Außerdem war die Dose Pfirsichkompott, die jeder im Rucksack hatte, der beste Antrieb. Und so eilten wir unserer ersten Bank entgegen. - Dosenpfirsiche zum Frühstück, welch ein Luxus.


Eine liebgewordene Angewohnheit der letzten Tage war es für uns geworden, auf dem ersten Rastplatz zu frühstücken. Kurz vor Ortsende begann es zu regnen und wir machten uns ‚wasserdicht‘, Rucksack einpacken und Regenjacken anziehen und beim Aufsetzen der Rucksäcke die grinsenden Blicke der Mitpilger, die im T- Shirt vorüberzogen. Warum sie grinsen? Man könnte es auch lächeln nennen! Denn zwei Minuten und kurz hinter der Gerichtssäule El Rollo hörte es auf zu regnen und damit auch für den Rest des Tages, aber es blieb den ganzen Vormittag über angenehm bewölkt, jedoch trocken.




Der lange Weg nach Cirueña





Nach unserem Frühstück, das wir mangels einer Bank auf dem Rand einer Kanaleinfassung genossen, ging es dann durch die ausgedehnten Weinberge des Rioja, was uns an die Weinberge der Heimat erinnerte. Nur dass hier die Wege nicht mit Beton zugeschüttet sind sondern ‚Natur pur‘ und angenehm zu laufen, ein Laufen, an das wir uns später noch oft erinnern würden, als wir auf die Pilgerpisten in der Meseta kamen. Forumsbuch: Pilgerstimmen 21. Januar 2012

So kamen wir zügig nach Cirueña, doch der kilometerlange Anstieg zum Dorf hinauf hatte es noch einmal in sich. Aber wir wurden mit einem schönen Rastplatz belohnt und hatten Gelegenheit, das Neubaugebiet zu bestaunen, das ein findiger Investor vor dem Dorf angesiedelt hatte. Wirklich schön anzusehen, doch einhellig waren wir der Meinung, dass uns das alte Dorf besser gefiel. So ging es weiter durch den Ort in Richtung Santo Domingo de la Calzada, welches wir gegen Mittag erreichten. 
Santo Domingo de la Calzada

Schon von weitem sahen wir es vor einem für diese Region typischen Kegelberg, wobei sich die Stadt harmonisch in die Landschaft einschmiegte, allein der weiße Getreidespeicher, der am Rand der Stadt stand, ließ sie schon von Weitem sichtbar werden. Vorbei an ausgedehnten Weizenfeldern ging es nun weiter auf dem Sternenweg, wie der Camino auch genannt wird, in Richtung Westen.
Wenn der Wind ungünstig steht und an diesem Vormittag tat er das, roch man die Kartoffelfabrik am Rand der Stadt, lange bevor man sie sah. Der Camino führte uns von der Seite in die Stadt und zur Kathedrale, was sie eigentlich nicht mehr ist. Aber sie wird immer noch so genannt. So wie der Camino in die Stadt führt, lässt sich die wahre Größe von Santo Domingo de la Calzada nicht einmal im Entferntesten erahnen. Immerhin hat die Stadt 5300 Einwohner. Der Weg führte uns im Norden der Stadt über die Calle Mayor, vorbei an der Pilgerherberge zur Plaza del Santo mit der Kathedrale.

Auch hatte uns mal wieder der Touristenrummel erwischt, so nahmen wir als allererstes eine Bank in Beschlag, Caroline hielt die Stellung und ich organisierte was zum Essen. Ein Supermercado ließ sich nicht finden. So kam ich durch das Gewinkel der Gassen auf die Hauptstraße, die Avenida Juan Carlos1, an deren Rand sich eine ‚Restaurant-Meile‘ befindet. Alles, nur kein Supermercado! So gehe ich den Weg zurück, vorbei an Delikatessenläden, in eine Panadería und kaufe ein riesiges Weißbrot, ofenfrisch, für uns war das eine Delikatesse. Wir merkten dass ‚unsere Bank‘ vor dem Parador stand, doch es störte uns nicht. Dieser Parador war ein mittelalterliches Pilgerhospiz, das heute zu einer Reihe von Hotels gehört, die sich Paradores nennen, Hotels der gehobenen Preisklasse.


‚Pilgergucken‘ vor der Kathedrale
‚Pilgerguckend‘, aber weitgehend wortlos, saßen wir auf der Bank. Caro berichtete von den Eses, Papa so um die vierzig, mit seinen beiden Söhnen, schätzungsweise neun und zehn Jahre alt, die gegenüber auf einem Mauersims sitzend ihr ‚Unwesen‘ trieben. Wir waren uns aber nicht sicher, ob es nun Jungs oder Mädels waren, Caro meinte Jungs, ich sagte Mädels, daher auch der Name ‚die Eses‘. Das Einzige, wo wir gleicher Meinung waren: Sie sind Waldorfschüler und ihr Papa evangelischer Pfarrer. Was uns zu dieser Annahme bewog, war ein Nachmittag in Los Arcos in der Flämischen Herberge, in der sie um die Nachmittagszeit, als viele Pilger schliefen und sich von der Tagesetappe erholten, quer durch den Schlafsaal tobten, ohne Rücksicht auf Verluste.




Da ‚erscheint uns die Wienerin‘ im wahrsten Sinne des Wortes über den Platz schwebend, auch das englische Ehepaar, welches uns vor dem Weinbrunnen Irache fotografiert hatte, war da. Erschlagen von der Menschenmenge entschlossen wir uns, den Hahn, der unserer einhelligen Meinung nach besser in einer Pfanne aufgehoben wäre, anzusehen und dann das Weite zu suchen, selbst wenn das bedeutete, heute Nachmittag noch 7- 8 km zu gehen.
Doch zuerst einmal zur Hühnerschau. Der Hahn in der Kathedrale, der kräht, wenn man die Kirche betritt, soll bedeuten, dass man Santiago erreicht. Also ein gutes Omen! - Als wir die zwei Vögel erblickten, mussten wir grinsen und Caro meinte, „wie soll man die denn hören, die sind ja hinter Glas".

Die Hühnerlegende

Der Legende nach soll hier eine Familie aus Xanten übernachtet haben und die Wirtstochter fand den Sohn ganz attraktiv und wollte ihn verführen, doch ‚keusch und rechtschaffen‘ lies der sich auf nichts ein. Die erzürnte Wirtstochter sann auf Rache und versteckte einen Silberbecher in seinem Gepäck. Als der Wirt am nächsten Tag den Verlust bemerkte, schickte dieser den Stadtbüttel aus, um den Becher zu suchen und fand ihn auch schnell, der Sohn wurde gehängt und die Eltern zogen weiter nach Santiago.
Als sie auf dem Rückweg wieder durch die Stadt kamen, hing ihr Sohn immer noch und sagte zu ihnen das er noch lebe, weil der Heilige Jakobus ihn hochhalte, da er von seiner Unschuld überzeugt sei. Sie gingen zum Richter um ihm davon zu berichten, doch dieser meinte, ihr Sohn sei genauso tot wie die gebratenen Hühner, die vor ihm auf einer Platte lagen. Worauf sich die beiden Hühner erhoben und wegflogen.
Der Sohn wurde ab- und die Wirtstochter aufgehängt!

Benannt ist die Stadt nach ihrem Gründer Santo Domingo de la Calzadader hier eine Brücke anlegte und ein Hospiz eröffnete.
Die Brücke über den Rio Oja


So verließen wir Santo Domingo über die Brücke des um diese Jahreszeit ausgetrockneten Rio Oja, der dieser Region den Namen gibt. Wir kamen in eine Landschaft, wie sie zum Vormittag nicht gegensätzlicher sein konnte, denn ausgedehnte Sonnenblumen Felder bestimmten von nun an das Landschaftsbild. Auch hatte es mittlerweile aufgeklart und die Sonne schien wieder wie eh und je. Doch es waren nur etwas über sieben Kilometer nach Grañon, mit einer einfach Herberge im Turm und Chorgestühl einer Kirche.
Flucht ist unser erster Gedanke


Als wir dann am Nachmittag Grañon erreichten, hatten wir auch unser Limit - dreiundzwanzig Kilometer - erreicht und waren platt, aber das genügte ja auch. Die Herberge neben der Kirche war auch leicht zu finden, so stiegen wir den Turm hinauf ins Chorgestühl und fanden einen altertümlichen Aufenthaltsraum mit Küche und einem riesigen Schreibtisch im Korridor, sanitäre Anlagen die uns ob des Alters erschauern ließen, aber relativ sauber. Wir bekamen unsere Sportmatten eine Etage tiefer und selbst in Caros Augen war der Gedanke an Flucht zu lesen. Doch keiner war bereit, noch weitere 4km zu gehen, so fügten wir uns unserem Schicksal und es wurde einer der schönsten Abende des Caminos.

Glücklich nicht geflohen zu sein!!

Nachdem wir uns ‚eingerichtet‘ hatten, nahm ich mein Tagebuch und ging nach oben, ich wollte schreiben, Caro wollte etwas schlafen. Doch zum Schreiben kam ich nicht, gegen fünf begann die resolute Hospitalera in der Küche zu werkeln und ich gesellte mich zu den anderen helfenden Hände und half, das Abendessen zu kochen, zumindest die ‚Schnipseleien‘ durften wir übernehmen. Mittlerweile hatte ich auch die Eses wiederentdeckt, auch die ‚Abiturientin‘, ‚die Wienerin‘, ‚das schwedische Ehepaar‘ mit ‚Henning und Kumpel‘ im Schlepptau. Alle waren da! Und dann kam beim Abendessen eine der herausragenden Bekanntschaften des Jakobsweges dazu, ‚Rimini‘, er sollte uns bis kurz vor Santiago begleiten, dort verloren wir Ihn aus den Augen. ‚Rimini‘ nannten wir ihn deswegen, weil er zuhause in Rimini im Frühjahr losgegangen war.
Nach der Abendmesse gab es einen typisch Spanischen Eintopf mit Kartoffeln, Zwiebeln und Chorizo, dazu Brot und danach noch eine Salat mit Flipper (Thunfisch) und natürlich Vino Tinto. Es wurde ein geselliger Abend, der mit einer schönen Andacht und auf einer harten Sportmatte endete und ich spürte Caros Ergriffenheit von diesem Abend, ich selbst war so müde, das mir nicht einmal der harte Untergrund etwas ausmachte.
Ultreia et Suseia


Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Schmunzeln im Gesicht wach, denn ich hörte oben im Aufenthaltsraum Stimmen, was eigentlich nichts Außergewöhnliches wäre, doch die Stimmen sangen, nicht etwa ein X-beliebiges Lied sondern ‚Ultreia et Suseia‘. Schmunzeln musste ich deswegen, weil wir uns gestern Abend in der Andacht so vorgestellt hatten.
Nachdem Jean, der Hospitalero - ein Benediktiner aus Lyon, uns aufgefordert hatte, jeder solle sich mit Worten in seiner Landessprache, die ihn gerade bewegten, vorstellen, hatte ich gesagt, "Ultreia et Suseia" und Caroline die Übersetzung dazu ‚bis Santiago und darüber hinaus‘, wonach ein Ruck durch den Benediktiner ging und er am Ende der Andacht noch die Bedeutung erklärte. Man wisse nicht genau, aus welcher Sprache es komme, vermute aber eine Mischung aus Französisch, Spanisch und Baskisch. So kam es, das an diesem Morgen niemand, aber auch wirklich niemand das Refugio verlies, ohne Ultreia zu singen oder zumindest, wie ich, zu pfeifen.


„Singen - boäh pfui Spinne", ich pfiff so wie jeden Morgen auch hier ‚Ultreia‘, dazu gab´s noch einen Cafe con leche und leckere Kekse, also ‚spanisches Frühstück‘.


Wir verlassen Grañon mit einem Schattenbild
Mit der Sonne im Rücken verließen wir Grañon in Richtung Belorado, nicht ohne ein Schattenbild zu machen und an einem Gebüsch hinter dem Ort gab‘s noch leckere Kirschen als Zugabe. Da die Sonne im Osten aufgeht und der Camino uns nach Westen führte, starteten wir jeden Morgen mit der Sonne im Rücken, und liefen unseren Schatten hinterher, die nach Santiago vorauseilten.

So gestärkt ging es in den jungen Tag, Belorado entgegen und das wollten wir auch einhalten. Zwar etwas wenig für den Tag, nur 16km, doch mit der Strecke von gestern kamen wir auf einen Tagesschnitt von 20km und dass war genug.

Sonnenblumenfelder soweit das Auge sieht

Auch war es ein angenehmes Laufen, denn alle 3 bis 4km kam ein Dorf und in Viloria, dem Geburtsort des heiligen Domingo, trödelten wir bei einem Eis etwas länger rum. Unterwegs hatten wir auch Begegnungen der außergewöhnlichen Art, denn wir trafen freilaufende Siamkatzen, noch dazu zutraulich, wie man es in Deutschland nicht kennt. Gegen ein Uhr waren wir in Belorado in der ersten Herberge und freuten uns auf einen Bummelnachmittag. Caro fiel ins Koma und ich machte meine Wäsche, ging einkaufen und kochte unsere ‚Pilgerspaghetti‘.


Belorado

Beim Einkaufen traf ich auf ein Gruppe Freunde aus aller Herren Länder, die bei einem Kurzbesuch bei einem Freund in Florenz auf die Idee gekommen waren, eben mal einige Wochen auf den Jakobsweg zu gehen. Einfach so, man hat ja nichts Besseres zu tun, was ich von einem Australier erfuhr, der dazu gehörte. Er sprach deutsch, denn seine Mutter stammte aus Kassel und war nach Australien verheiratet und fand es gut, wenn ihr Sohn sich mal einige Zeit Europa anschaute. Natürlich mit dementsprechend viel Taschengeld ausgestattet, doch der Jakobsweg regelt alles, so wie wir Freundschaften und Gruppen entstehen sahen, so sahen wir auch, wie sich diese Gruppe in den Weiten des Jakobsweges verlor. Man hörte sie nur den ganzen Abend und die halbe Nacht feiern - und den Rest der Nacht kotzen … . Unterwegs in der Meseta sahen wir dann noch mal den einen oder anderen alleine gehen. Doch ansonsten verloren wir sie alle aus den Augen







Camino 2010
Von Saint Jean Pied de Port nach Santiago de Compostela
Saint Jean Pied de Port - Roncesvalles









* * * * * *
Eine Besonderheit ist es auf jeden Fall, wenn der Camino ein ‚Generationen-Erlebnis‘ wird.

Wir bereits erwähnt, begleiten wir im nächsten Beitrag Pellegrino, der den Camino Francés mehrfach gegangen ist – sowohl alleine als auch nacheinander in Begleitung seiner Kinder. Im folgenden Beitrag startet er in Saint Jean Pied de Port zu der anspruchvsollen Etappe über die Pyrenäen mit seinem damals 13-jährigen Sohn Frederic.

10 In der Hoffnung, dass es klappt von Pellegrino Claudio


Mit meinem Sohn Frederic über die Pyrenäen nach Roncesvalles

 


ir hatten Bayonne noch nicht richtig verlassen, da gab Frederic ‚unserem Weg‘ sein Motto. Überwältigt von dieser schönen Pyrenäenlandschaft kniete er auf seinem Sitz, blickte in die Runde und seufzte, für meine Begriffe etwas zu laut, aber ich wollte seine Freude nicht dämpfen, es verstand ihn ja doch niemand „weißt du, eigentlich kann man von den Leuten hier ja nicht verlangen dass sie Deutsch verstehen". Da stand vier Reihen vor uns eine junge Frau auf und meinte „doch, wir verstehen euch, wir sind Deutsche". Na toll, dachte ich, so ungefähr habe ich es mir vorgestellt, noch nicht richtig auf dem Weg und schon geht's los, Frederic macht uns bekannt.
So kam es das unser Camino 2010 unter dem Motto ‚Menschen am Wegesrand‘ stand.
Wir fuhren mit dem Bus nach St. Jean Pied de Port, da der Schienenverkehr wegen Gleisbauarbeiten schon seit Monaten eingestellt war.

In die Pyrenäen
Auf der ‚Route de Combo‘ ging es in einem leichten Nieselregen entlang der Nive in die Pyrenäen. Gesäumt von malerischen Bergdörfern führte uns die Straße unserem Ziel entgegen, Saint Jean Pied de Port, ein 1500-Seelen-Dorf in der Französischen Region Aquitanien. Früher hatte die Stadt andere Namen wie Santa Maria Cabo el Puente oder Sainte-Marie du Bout du Pont. Ihren heutigen Namen, ‚heiliger Johann am Fuße des Passes‘ ist auf eben die Lage am Fuße des Passes zurückzuführen. Sie ist Endpunkt der Via Podiensis und zugleich Beginn des Camino Francés, des Weges der Franzosen. Hier hat man die Möglichkeit zwischen zwei Varianten der Pyrenäenüberquerung zu wählen, zum einen die ‚Route Napoleon‘ über den auf 1450m gelegenen Col de Lepoeder und zum anderen den Weg durch ein Gebirgstal über Valcarlos und den auf 1000m gelegenen Ibañeta Pass, die ‚Valcarlos Route‘. Wir wollen über die ‚Route Napoleon‘ gehen, da ich letztes Jahr
mit Caroline in Pamplona unseren Weg begonnen hatte, zog es mich dieses Jahr wieder in die Pyrenäen. Einzig was Frederics Freude etwas ausbremste, war die holprige Nacht im Liegewagen. Start mit einer Trauerfeier  
Als wir in Saint Jean Pied de Port ankamen, begrüßten wir erst einmal unsere deutschen Mitpilger, Heinz und Gisela, Mitte dreißig und ihre Tochter Anne, ich schätzte sie in Frederics Alter.
Heinz ist den Weg schon einmal gegangen und möchte nun das Erlebte mit seiner Familie teilen, zu Fuß nach Pamplona dann mit dem Zug nach Leon und den Rest wieder zu Fuß bis Santiago, drei Wochen haben sie Zeit. Sie wollten auch gleich den Ort besichtigen und zur ersten Etappe nach Orisson starten. Wir gönnten uns erst mal was zu trinken, denn wir hatten vergessen, am Abend vorher in Paris Wasser zu kaufen und hatten dementsprechend Durst. So kamen wir gerade mal zu dem kleinen Lebensmittelgeschäft in der Av. Renaud, doch wir hatten Zeit und genossen die Vormittagssonne bei einem Kaffee und einer großen Cola.
Doch dann hatte es Frederic sehr eilig auf den Weg zu kommen, zumindest zum Pilgerbüro, unserem ersten Stempel entgegen, denn erst dann sind wir ‚richtige Pilger‘.
In der Hoffnung Marie wiederzusehen treibt es auch mich voran. Sie gehört zu den Jakobsfreunden, den Amis de Saint Jaques, einer Ortsvereinigung im Regionalverband "Aquitaine". Ich habe sie vor zwei Jahren kennengelernt, als ich erst spät nachmittags ankam und sie mir ein Bett in Orisson reservieren ließ. Sie stammt aus Lothringen und war im Krieg als Kind nach Trier deportiert, so kamen wir auch ins Gespräch. Als sie meinen Credencial stempelte und den Stempel des Bistums Trier sah, meinte sie mit unverkennbar französischem Akzent „oh unsere Jakobsfreunde aus Triärrrr".
Doch Sie war nicht da und so ging es auch gleich weiter zur Kirche, wir wollten eine Kerze anzünden. So wie Gisela im Bus kam nun auch eine ältere Holländerin auf uns zu und meinte „ihr seid Deutsche?" ich nickte und sie sagte, dass sie mit ihrem Mann hier mal nach Santiago gestartet sei und dieses Jahr machten Sie Urlaub auf dem hiesigen Campingplatz. „Wir sind zu alt, doch wir wollen die Strecke nochmal mit dem Camper abfahren", man spürte diesen Hauch von Wehmut in ihrer Stimme, wie gerne Sie den Weg nochmal gehen würde.

So war es schon Mittag, als wir unten in der Kirche ankamen. Es fand gerade ein Gottesdienst statt, was mich wunderte denn es war erst Donnerstag. Doch wir setzten uns andächtig dazu und feierten mit den anderen die heilige Messe. Wir waren die einzigen Pilger, was ich sehr komisch fand, aber da schubste mich auch schon Frederic an und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Sarg, der vorne vorm Altar stand. Na toll, da waren wir mitten in eine Trauerfeier geplatzt!
Ich signalisierte ihm sitzen zu bleiben. „Da müssen wir nun durch", flüsterte ich ihm zu. Nach der Trauerfeier zündeten wir unsere Kerzen an und verließen die Kirche. Noch einige Bilder von der malerischen Fassade entlang der Nive und noch in ein ‚Souvenirgschäfderl‘, denn Frederic wollte noch einen Hut kaufen. O-Ton Frederic: „Einen echten Pilgerhut kauft man nur am Pilgerweg, dann ist er echt!"

Auf nach Huntto  
‚Am Brunnen vor dem Tore‘ füllten wir unsere Wasserblasen, zum ersten aber nicht zum letzten Mal an diesem Tag, denn es versprach heiß zu werden. Dann noch etwas ausruhen - Frederic korrigierte mich, „wir Chillen" - , dann ging es los. Ihr wisst ja, die ersten Kilometer hinter Saint Jean sind die schlimmsten, selbst Frederic schaltete einen Gang zurück.
Doch wir kamen gut in den Nachmittag und bis nach Huntto ist es ja nicht allzu weit. Dort blieben wir deswegen, weil ein Bett gerade mal die Hälfte von dem kostet, was wir bei Jean Jacques in Orisson bezahlen würden. Gut, bei ihm bekämen wir zwar ein Abendessen und Frühstück, doch wir hatten noch unsere Brote und das genügte uns. Also dann ‚auf nach Huntto‘!
Dort angekommen machte ich aufgrund meiner mangelnden Französischkenntnisse einen gravierenden Fehler. Ich entschied mich für das Gästehaus ‚Ferme Iturburia‘, und nicht für die angeschlossene Gite d´Etape. Und somit zahlten wir sogar vier Euro mehr als bei Jean Jaques. Unsere deutschen Mitpilger trafen wir dann auch wieder, denn sie gingen an diesem Nachmittag auch nicht nach Orisson.
Die Übernachtung war aber ihr Geld wert, auch wenn es ein großes Loch in unsere Pilgerkasse brannte. Zum Abendessen gab es Entenbrust mit Gemüse und Kartoffeln, als Dessert Eistorte, vorweg eine Kohlsuppe. Eine lange Tafel war gedeckt und es gab feste Sitzplätze, die Mme. Marie von vornherein festlegte.
So kam
es, dass Heinz und Gisela samt Tochter am anderen Ende der Tafel saßen und somit eine Unterhaltung kaum möglich war.
Mit an dem Tisch saßen noch drei junge Pilger und mehrere französische Wanderer, denn die Region um Saint Michel ist ein beliebtes Wandergebiet. Bald schon registrierte ich, dass Heinz im Gespräch mit den drei Pilgern regelrecht aufblühte. Durch das Gemisch aus englisch und spanisch, genannt ‚Spanglisch‘, wurde seine Frau mangels Sprachkenntnissen immer stiller. Die Tochter versuchte anfänglich noch, sich am Gespräch zu beteiligen, doch gab sie dann irgendwann auf. Fredo und ich ließen es uns derweil schmecken. Franzosen links und rechts von uns und auch noch gegenüber, man unterhielt sich mit Händen und Füßen, denn da toppen sie sogar noch die Spanier, mit ihrer Abneigung dem Englischen gegenüber.
Nachdem sich Frederic noch eine zweite Portion Eis hatte aufdrängen lassen, löste sich die Tafel auch auf. Heinz und Gisela meinten, dass sie morgen früh los wollten, schließlich sei es kein Zuckerschlecken bis Roncesvalles. Wie wahr, wie wahr, Gisela hatte heute von der kurzen Strecke Blasen an den Füßen.
Auch wir zogen uns zurück, Rucksäcke für den nächsten Tag richten. Wir hatten zwar ein Doppelzimmer, doch in den Herbergen ist es besser, wenn man abends schon alles richtet, damit man am nächsten Morgen nicht so viel scheppert. Zum anderen ist es gut wenn man morgens zügig los kommt.
Als wir dann am nächsten Morgen mit dem ersten Tageslicht aufstanden zog der Nebel vom Tal herauf. Zum Frühstück gab es Café au Lait, für mich schwarz, Brot, Butter und Marmelade und dann starteten wir in den Nebel.

Virgen d´Orisson  
Zuerst ging es ein Stück auf der Straße, als wir unter uns Stimmen im Nebel hörten. Da schälten sich auch schon die ersten Pilger aus dem Grau, eine französische Jugendgruppe die sich auf dem Weg nach Roncesvalles befand.

Heinz, Gisela und Tochter Anne waren schon weg und ich fragte mich, ob das wohl gut geht. Unser nächstes Ziel war Orisson, die Gite von Jean Jacques. Dort spendierte Frederic einen Kaffee und ´ne Cola. Der Nebel hatte sich mittlerweile verzogen, aber das Wetter blieb wechselhaft. Mal war es trüb, mal bewölkt, aber trocken. Es regnete aber im Gegensatz zu den Jahren davor nicht.

Noch nicht, denn ich wusste wie wechselhaft das Wetter in den Pyrenäen sein kann!
Einen letzten Blick zurück in Richtung St. Jean und wir sahen, wie sich der Nebel im Tal hielt. Frederic war begeistert, „das ist so als wenn man aus einem Flugzeug, das über den Wolken fliegt, guckt!"
Wir kamen gut voran, die Virgen d´Orisson, eine kleine Marienstatue zwischen den Felsen, war bald erreicht. Frederic war vor mir da und kletterte schon in den Felsen rum und zeigte mit wedelnden Armen seine Begeisterung.
Wir waren die Letzten auf dem Weg, der Aufstieg war schweißtreibend und als ich bei einer Rast zu Frederic sagte, „wenn es mich hier zerbröselt, buddelst du ein Loch und wirfst mich rein, nimm aber vorher meine Papiere und geh weiter nach Santiago". Worauf er knochentrocken meinte, "und als letzten Atemzug hauchst du mir die Geheimzahl deiner Visa-Card zu".
Das war mein Fredo, diesen trockenen Humor hat er von mir!

Von Wilden Pferden und zahmen Schafen 
Am frühen Nachmittag sahen wir die ersten wilden Pferde, die Pottok Ponys, eine seltene Ponyrasse aus dem Baskenland. Waren Sie früher für die Bauern ein ‚Nebenprodukt‘ der Berge, so züchtet man sie heute als Freizeitvergnügen, aber noch immer sind sie auch ein beliebter Fleischlieferant. Immer wieder begegneten wir kleinen Herden von fünf bis sechs Pferden, und als wir am Nachmittag den Col de Bentarte erreichten, sahen wir unterhalb des Passes auch eine Schafherde.
Frederic erkannte einen weißen Transporter an dessen geöffneter Seitentür Campingstühle standen. Als wir näher kamen, erhob sich ein Mann und begrüßte uns. Er sprach deutsch, sein Name sei Jan, er komme aus Bayonne und zähle hier die Pilger, die über die Pyrenäen gehen. Nach Nationen getrennt machte er zwei Striche mit einem Edding hinter Deutschland.
17 Deutsche waren vor uns, insgesamt sind schon 177 Pilger durch, plus die 43 köpfige Jugendgruppe. Das würde eng in Roncesvalles werden, 120 Betten in der großen Herberge, im ‚Schnarch Saal‘, aber wir nahmen es gelassen.
Bevor wir über den Pass Richtung spanischer Grenze verschwanden, hütete Frederic noch die Schafe, teilte die Herde in
zwei Hälften und war für wenige Augenblicke ‚Herr der Welt‘, es ging Ihm gut und er begann sich langsam einzulaufen.  Auf den Spuren Ritter Rolands  
Am Rolandsbrunnen rasteten wir, ich erklärte Frederic die Bedeutung des Brunnens beziehungsweise seines Namensgebers. Ritter Roland war ein Neffe und Paladin Kaiser Karls des Großen, der mit seiner Nachhut das fränkische Heer decken sollte. Sie waren im 8. Jahrhundert auf dem Rückzug von den Maurenkriegen in Richtung Heimat unterwegs, als sie der Sage nach im Gebiet von Roncesvalles in einen Hinterhalt gerieten. Wie er es mit letzter Kraft noch schaffte, sein mächtiges Horn Olifant zu blasen und damit Kaiser Karl zu Hilfe rufen konnte, der jedoch zu spät kam. Sie unterlagen den baskischen Kriegern.
Das Rolandslied, die Sage um Ritter Roland, geht in die Geschichte ein, und nun saßen wir am Rolandsbrunnen und tranken dort Wasser. Wir waren einhellig der Meinung, dass es nicht das beste Wasser war, aber da mussten wir durch, unsere Vorräte waren leer und in weiser Voraussicht füllten wir sie auf.
Am späten Nachmittag rasteten wir am Wegesrand, legen uns ins Gras und schliefen etwas, bevor es weiter ging. Als wir den Waldweg weitergingen, sehen wir den Nebel aus dem Seitental aufsteigen und gingen etwas schneller.
Als wir dann aus dem Wald unterhalb des Col de Lepoeder herauskamen, meinte Frederic, „Guck mal da, ein Refugio". Ich sagte zu Ihm da hätte er wohl was verwechselt, doch als ich hinübersah, war da wirklich ein kleines Steinhaus mit dem ‚Refugio‘-Zeichen über der Tür. Die Tür war nicht verschlossen, wir konnten unserer Neugierde nicht widerstehen und riskierten einen Blick hinein. Es war ein einfacher, schmuckloser, aber zweckmäßiger Raum mit zwei gemauerten Pritschen und einem Kamin im Eck, davor stapelte sich armdickes Brennholz. Ich dachte noch, hier zu Übernachten wäre bestimmt ein Highlight für Frederic.

Mit Paolo Coelho durch die Berge  Als wir weitergingen, kam der Nebel immer schneller und keine hundert Meter hinter der Hütte waren wir ‚nebelfeucht‘. Ich erklärte Frederic, dass es wohl besser wäre, die Nacht in der Hütte zu verbringen, denn wenn wir warteten, bis das Wetter wieder umschlug, würde es dunkel. Das Funkeln in seinen Augen verriet
mir, dass dies eine gute Idee war, und so gingen wir das Stück wieder zurück. Kaum hatten wir uns in der Hütte eingerichtet, donnerte und krachte es schon und Regen prasselte aufs Dach.
Als Abendessen gab es belegte Brote, die Reste unseres Reiseproviants, dazu Wasser vom Rolandsbrunnen. Es wurde eine harte Nacht auf der Steinpritsche. Zwar hatten wir unsere Isomatten dabei, doch die machten den Beton nicht unbedingt weicher. Aber Hauptsache, wir hatten ein Dach über dem Kopf und waren im Trocknen. Als es dann nachts kalt wurde, zündeten wir den Kamin an.
Das war Abenteuer pur, alleine in den Bergen, prasselndes Kaminfeuer, jetzt fehlte nur noch das Geheul von Wölfen. Ein Erlebnis für Fredo, von dem er auch heute noch schwärmt!
Wir wollten am nächsten Tag trotzdem nur bis Roncesvalles, und somit benötigten wir drei Tage über die Pyrenäen, eigentlich vier, wenn wir den einen Tag bis Zubiri über den Erro-Paß dazurechneten.
So erzählte ich Frederic von Paolo Coelho, der von seinem Führer auch mehrere Tage durch die Pyrenäen geführt wurde. Für einen Weg, den man an einem Tag gehen konnte. Als wir morgens aufwachten war es neblig und an ein Weitergehen wollten wir noch nicht denken, denn die sechs oder sieben Kilometer würden wir mit links schaffen! So warteten wir, bis sich der Nebel verzogen hatte und setzten dann unseren Weg nach Roncesvalles fort. Frederic zählte den Abstand zwischen den Seitenpfosten und erklärte mir, wie wichtig es sei, sich bei Nebel daran zu orientieren, schließlich hatten wir ja gestern Abend am eigenen Leib erfahren, wie schnell es gehen konnte. Ich musste innerlich grinsen, höre ihm aber mit ernster Miene zu und freute mich, ‚wiedermal was dazugelernt zu haben‘.
Oben am Pass waren einige Wanderer, die von der spanischen Seite einen Ausflug in die Berge machen. Wir rasteten kurz, bevor es an den Abstieg ging.

Durch den Wald nach Roncesvalles  Die Straße überquerend, dort wo man die Wahl zwischen der Asphaltpiste und dem Weg durch den Wald hat, meinte Fredo, „wir gehen durch den Wald!" Ich war zwar skeptisch, denn der Weg hatte nicht gerade den besten Ruf, besonders wenn es die
Nacht vorher geregnet hatte und wie ein matschiger Weg aussehen kann, war mir nur zu gut in Erinnerung, doch ich nickte ihm zu.
Der Weg entpuppte sich als ein schöner Weg, der kein bisschen rutschig war und so kamen wir zügig ins Tal. Die Herberge öffnete erst um 16.00 Uhr, und damit hatten wir noch einige Stunden Zeit. Frederic spielte im Wildbach unterhalb des Klosters und ich dachte, ‚irgendwann einmal, wenn er von Hemingway liest, wird er verstehen das er an so einem Wildbach gespielt hat, zu dem dieser zum Angeln fuhr‘.
Zum krönenden Abschluss der Pyrenäenetappe dann noch die schöne alte Herberge, von holländischen Pilgerfreunden betreut. Was es ihm aber richtig angetan hatte, waren die Automaten unten im Aufenthaltsraum. So ging eine Etappe zu Ende, die ein wunderbarer Einstieg in den Jakobsweg war und den zusätzlichen Tag würden wir sicher wieder herausholen.
Was aber von nun an Frederics Denken beschäftigte, war Pamplona und San Fermines, der Stierlauf! Zwar würde dieser erst beginnen, wenn wir Pamplona schon wieder verließen, aber ich konnte Frederic zeigen, wo die Stiere laufen und wie sich die Stadt herausputzte.



Aber das ist eine andere Geschichte auf dem Weg nach Santiago.




Camino 2012
Von Sarria nach Santiago
Sarria - Portomarin




* * * * * *
Noch einmal machen wir uns auf den Weg mit Pellegrino, der den Francés nicht nur abwechselnd mit seinen Kindern während der Sommerferien - also zur ‚belebtesten‘ Zeit – gegangen ist, sondern auch immer wieder alleine. Und vor allem immer wieder den Camino Francés, den er wohl inzwischen kennt wie seine Wohnstube. Einschließlich der Herbergen und Hospitaleros.
Immer wieder zieht es ihn auf genau diesen Weg zurück und er zeigt uns dabei, dass man sich auch von den vielzitierten ‚Pilgermassen‘ nicht unbedingt ab-schrecken lassen muss. Nein, dass man sogar diesen besonderen Situationen nicht nur mit Gelassenheit begegnen, sondern ihnen gar noch positive Seiten abgewinnen kann.
So geht er hier die Etappe, die er beschreibt, nicht nur aktuell, sondern gedanklich auch nochmal in den verschiedenen Vorjahren und mit den verschiedenen Mitpilgern.
Zum leichteren „Mitgehen“ für den Leser sind diese Passagen aus der Vergangenheit kursiv gedruckt. Es handelt sich also bei diesen Kursiv-Passagen nicht um Kommentare der Herausgeber. Nicht zuletzt gibt uns Pellegrino in seinem Bericht Einblick in seine Gedanken über und seine Gefühle für Galizien, wo sich alle Jakobwege und alle Jakobspilger schließlich treffen.
Das graue Galizien, das feuchte Galizien, das kalte Galizien – aber auch das grüne, das sonnige, das leuchtende und duftende Galizien und ersehntes Ziel der Millionen von Pilger in über tausend Jahren.








36 Sarria nach Port Sarria nach Portomarin von Pellegrino Claudio



G 
rau und regnerisch kündigt sich der Tag an, als ich die Herberge verlasse, nach einer kalten Nacht steht mir jetzt erst einmal der Sinn nach einer Tasse Kaffee. Ich bin in Sarria, dem Start meiner diesjährigen Pilgerreise. Doch eigentlich begann alles schon viel früher.

Als ich begann, meine ersten beiden Beiträge für unser Forums-Buch zu schreiben, kam mir auch die Idee für diesen Beitrag.
Für Caroline war der schönste Abschnitt, an den Sie sich immer wieder gerne erinnert, der von Azofra über Grañon nach Belorado, „weist Du, da wo wir beim Kochen mitgeholfen haben, Mama da haben wir Pfirsiche aus der Dose gefrühstückt, waren die lecker“. Aber ich weiß, dass es die Abendandacht in Grañon war, die sie in ihren Bann gezogen hatte. Ebenso wie der Abend bei Tomás in den Bergen in Manjarin ….
Für Frederic war es die Strecke über die Pyrenäen. Das begann schon kurz hinter Bayonne mit einem verzückten „Boah“, dem in den nächsten Tagen noch weitere folgen sollten. So zum Beispiel, als wir morgens in Huntto aufbrachen und kurz vor Orisson, die Serpentinen hinauf, den Nebel verließen und Frederic zurückblickte, da meinte er andächtig „man könnte meinen, man blickt über das Meer“.
Auf meinem ‚Camino Solo‘ im folgenden Jahr war es die Strecke über Sarria nach Portomarin gewesen, als ich mit Gitte vom O Cebreiro kam und am nächsten Morgen Attila in einer kleinen Bar kennenlernte. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, aber bis zum Ende in Fisterra trafen wir uns immer wieder und am letzten Abend feierten wir gemeinsam mit Gitte ihren Geburtstag, wozu sich auch noch Gerda von der Deutschen Pilgerbetreuung in Santiago dazugesellt hatte. Alles in allem, ein gelungener Abschluss.
So kam mir der Gedanke, diesen Beitrag an Ort und Stelle zu schreiben und dabei die letzten hundert Kilometer zu gehen.

Heute Morgen sitze ich nun in der kleinen Bar in Sarria, neben der Herberge direkt am Jakobsweg, bei einem Kaffee Solo und lausche dem ‚Tack Tack‘ der Pilgerstöcke. Im November sind es nicht mehr so viele.
Ich genieße die Ruhe und freue mich auf die bevorstehenden Tage in Galicien, einmal ohne Hast und Hetze von Sarria nach Santiago – 110 Kilometer, für die ich mir zehn Tage Zeit lassen möchte. Doch gestern Abend auf dem Weg vom Busbahnhof hinauf zur Herberge konnte ich schon erahnen, dass ich diese Zeit auch benötigen würde.
Gestern um 15.45 Uhr landete ich mit Ryanair in Lavacolla. Dann sollte es mit dem Bus nach Santiago gehen, da ich nicht gedacht hatte, den Bus nach Lugo um 16.16 Uhr noch zu bekommen.

Umso erstaunter war ich, als ich kurz vor vier schon an der Bushaltestelle stand und somit am gleichen Nachmittag noch nach Lugo kam. So ging es mit dem Bus den Camino rückwärts, zumindest bis kurz hinter Melide, bevor der Bus dann nach Norden abbog. Immer wieder sah man Pilger und es waren nicht wenige, die um diese Zeit noch unterwegs waren.
Wir fuhren in den Abend und die Dämmerung schlug mir aufs Gemüt und je weiter wir in die Nacht fuhren, umso mehr kamen mir die Zweifel. Als wir dann aus den Hügeln kamen und Lugo zu sehen war, war es auch um meine Stimmung vollends geschehen, grau und düster lag die Stadt im letzten Licht des Tages und zeigte sich nicht gerade von ihrer besten Seite. Auch wenn ich mich schon mal über die Übernachtungsmöglichkeiten in Lugo informiert hatte, nun standen meine Gedanken nur noch auf Flucht. So erkundigte ich mich, in Lugo angekommen, gleich nach einem Bus nach Sarria und auch dieses Mal war das Glück auf meiner Seite, um halb sieben war Abfahrt.
In Sarria angekommen regnete es in Strömen und ich begab mich auf die Suche nach einem Bett. Jetzt wollte ich nur noch eine heiße Dusche und das Bett, doch die meisten Herbergen waren geschlossen, so ging ich den Camino immer weiter hinauf Richtung Stadtrand und wurde in der Albergue Don Alvaro fündig.
„Una cama por favor?“ – „Si!“ – „Abajo?“ – „Si!“ – Der Abend war gerettet und somit auch die kommende Nacht, ich bekam wie gewünscht ein Bett ‚unten‘ und als Draufgabe war ich der einzige im Zimmer. Doch es wurde eine kalte Nacht.
Nun sitze ich in der kleinen Bar und ich erinnere mich als Caro und ich vor Jahren in der Albergue International übernachteten.

Vom O Cebreiro kommend waren wir die Nacht bis kurz vor Sarria durchgelaufen und hatten in einer Bushaltestelle übernachtet. Mit dem ersten Bus sind wir dann nach Sarria gefahren und nach einem heißen Kaffee haben wir uns auf die Suche nach einem Bett gemacht, überall wo wir hinkamen ‚Completo‘, nur in der Internationalen Herberge war noch etwas frei.
Was dann kam, würde Kaya Yanar zur Ehre gereichen, so nach dem Motto „du kommst hier ned rein“, nur für ‚reservierte Gäste‘ und da wir nicht reserviert hatten, … „kommst du hier ned rein!“. Ich blickte zu Caro hinüber und als ich dieses Häufchen Elend sah, mir ging es auch nicht besser, schwoll mir der Kamm und ich machte dem Concierge unmissverständlich klar, dass wir hier nicht weichen würden, es sei denn in ein Bett dieser wunderbaren Herberge, die sicherlich auf das Wohl der Pilger bedacht sei, die schon seit hunderten von Kilometern unterwegs waren.
Um sein Gesicht zu wahren, füllte er einen Reservierungsschein aus und meinte, „die Betten werden aber erst um 12 Uhr fertig“, kassierte 10€ im Voraus für jedes Bett und verlangte meinen Ausweis „für die Meldestelle“.

Doch dem Funkeln seiner Augen sah ich an, dass er jetzt nur auf Gegenwehr wartete, doch den Gefallen tat ich ihm nicht. So gingen wir erst einmal in den Supermarkt einkaufen und neben der Kirche auf einer Bank gab es dann ein herzhaftes Frühstück.
Als wir dann Punkt 12 Uhr in der Herberge auftauchten, meinte er mit ernster Miene, uns eine Hand mit gespreizten Fingern entgegenstreckend, „cinco minutos por favor“ – ‚noch fünf Minuten‘ …
So bekamen wir Betten direkt am Camino und draußen hörte man das ‚Tack Tack‘ der Pilgerstöcke. Ein Geräusch das ich mein Leben lang in den Ohren behalten werde, es ist wie Musik.

Heute bin ich spät dran, aber ich sehe dem recht gelassen entgegen, ich habe Zeit, möchte Galizien genießen. Dementsprechend sind auch meine Etappen geplant, kein Rennen, keine Hetze und vor allem keine Flucht. Pilgerfreund José Maria meinte bei unserem letzten Treffen, „weißt du, ab Melide bin ich nur noch geflohen“.
Ich kenne das, denn bisher war in Galizien immer der Moment gekommen, an dem ich die Flucht ergriff, mit Caro war es in Arzua, mit Frederic in Melide und letztes Jahr überkam es mich in Palas de Rei. In Santiago habe ich sogar noch mittags vor der Pilgermesse die Stadt verlassen, Richtung Meer, Fisterra war damals mein Ziel.
Als Caroline und ich vor Jahren hinauf zum O Cebreiro gegangen waren, sagten wir einhellig, dass alles, was wir bis jetzt gesehen hatten, durch nichts zu toppen wäre. Die Pyrenäen und deren Ausläufer in Navarra, die Weinberge des Rioja, die endlosen Weiten der Meseta in Kastilia y Leon und dahinter die Montes mit dem Cruz de Ferro, das Bierzo mit seinem beschwerlichen, aber wunderbaren Camino Duro. Alles wunderbare Landschaften und Sonne pur. Und nun Galizien, kalt, stürmisch und regnerisch, Pilgermassen schon auf dem O Cebreiro. Und dann erst! Hinter Sarria auf den letzten hundert Kilometern! 
Doch Galizien sollte einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen. Als ich das erste Mal auf dem O Cebreiro stand, dachte ich, „Ja, so muss die Welt aus Gottes Augen aussehen“. Hier treffen die Klänge der Natur die menschliche Vorstellungskraft. Roncesvalles, Pamplona, Burgos und Leon, das sind Etappen, da nimmst du den Atem der Zeit in dich auf. Du inhalierst die Historie, all die Millionen von Pilgern die in den letzten Tausend Jahren ihren Weg gegangen sind. Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr, unbeirrt zogen sie nach Westen, den Sternen entgegen.
Doch hier in Galizien ist es anders, die Luft ist frisch, es duftet nach grünem Gras und später wird sich noch der Duft der Eukalyptuswälder dazu gesellen. Die Farbenpracht der Hortensien

und Magnolien im Kontrast zu den grauen Natursteinhäusern. Und das nahe Meer. Vor allem aber, ‚Sie reden mit dir‘, ja es klingt verrückt, aber die Eukalyptusbäume reden mit dir. Anfangs nur ein Knarzen und Knarren, untermalt von dem Rauschen der Blätter im Wind, doch irgendwann erkennst du eine Melodie, die deine Seele berührt. Wenn die Natur Gottes eine Kathedrale ist, dann ist Galizien der Tabernakel, das ‚Allerheiligste‘.
Schon oben auf dem O Cebreiro meint man das Meer, weit im Westen, erkennen zu müssen, doch es ist noch viel zu weit entfernt. 
Sieben Tage noch bis Santiago und dann nochmal vier Tage auf dem Camino Fisterra, dem Weg ans Ende der Welt. 
Doch mein Weg beginnt dieses Jahr in Sarria, eigentlich zog es mich schon auf den O Cebreiro, doch das schaffe ich nicht, denn ich will ja noch ans Meer gehen.
Ich erinnere mich an die vergangenen Jahre, diesen Weg ging ich schon mit Caroline und Frederic.

Letztes Jahr saß ich draußen mit Freunden und genoss den etwas trüben, aber doch schönen Nachmittag. Rudy aus Frankreich mit seiner italienischen Freundin, Ann Louise aus Norwegen und deren Clique, waren in der Albergue Municipal und Gitte und ich wollten noch weiter nach Barbadelo. Na ja, ursprünglich war mein Ziel Sarria, doch wieder einmal war alles ‚Completo‘ gewesen. So schloss ich mich Gitte an.
Wir trafen uns in La Faba. Eigentlich kannten wir uns schon seit zwei Jahren aus unserem Forum, aber eben ‚nur‘ aus dem Forum. Und das Kuriose daran war, wir waren uns das erste Mal begegnet in der Ermita del Ecce Homo kurz hinter Astorga, hatten kurz miteinander geredet, bevor ich weiter Richtung Rabanal gegangen war. Als wir uns dann nochmal in El Ganso getroffen hatten, meinte sie, sie würde wohl in der Herberge im Ort bleiben.
Abends bekam ich dann eine SMS von Petra, einer befreundeten Pilgerin, ob ich denn wisse, dass ich mit Gitte aus dem Forum geredet hatte?
In La Faba, fünf Tage und 100 Kilometer später, trafen wir uns wieder in der Schwäbischen Herberge bei einer Rast.
So kam es, dass wir dann gemeinsam aus den Bergen durch Sarria gingen, Portomarin war mein Ziel und Gitte wollte weiter.

So gehe ich heute Morgen Richtung Portomarin, doch schon bald zeigt sich, dass heute ‚nicht viel geht‘. So komme ich gerade mal bis Rente, wo ich mir in der Casa Nova ein Zimmer nehme. Schon in Barbadelo habe ich mir in der Servicestation, einer zum Automatenraum umgebauten Scheune, eine ausgiebige Pause erlaubt. Seit einigen Monaten wird sie von Abdullah, einem jungen Marokkaner betreut, der Besitzer der Albergue Barbadelo hat findiger Weise einen gutflorierenden Souvenir-Shop daraus

gemacht. Für mich bedeutet es aber erst einmal Rast, ne Cola und Kaffee, dazu noch Ansichtskarten für die Lieben zuhause.
Um es mit Hermann Hesses Worten zu sagen, „manche Leute sagen, das Durchhalten mache uns stark, doch manchmal ist es gerade das nicht Durchhalten, was uns stark macht“. So beschließe ich, meine Etappen zu teilen und jede in zwei Tagen zu gehen, so werde ich Santiago erreichen und dort noch einige Tage bleiben, so mein Plan am Ende meines ersten Pilgertages.
Dieses Jahr erlebe ich das Pilgern einmal von einer anderen Seite. Haben wir uns immer über die „Edelpilger“, Pilger mit leichtem Gepäck, die nur die letzten hundert Kilometer gehen, lustig gemacht, so gehöre ich nun auch zu dieser Spezies. Ich sehe das Pilgern einmal aus einer anderen Perspektive und ich denke, wenn man sich ein Urteil darüber erlauben will, sollte man wissen, worüber man urteilt.
Eine finnische Pilgerin, mit der ich heute Morgen ins Gespräch kam, meinte, nachdem ich scherzhaft sagte, „ich komme jedes Jahr auf den Camino, um meine Seele zu suchen“, „nein, du hast sie nicht verloren, das sehe ich in deinen Augen!“ Sie zeigte mit einer Handbewegung in die Runde, auf den moosbewachsenen Baum und die Farne und Gräser und meinte, „das alles erinnert mich an meine Kindheit, an Alice im Wunderland“. Als wir uns später nochmal trafen, meinte ich zu ihr, dass sie wohl Recht hat, es wäre doch mein Herz, das ich an Galizien verloren habe. Als ich ihren Blick sah, fügte ich schnell hinzu, „weißt Du, ich liebe meine Familie, doch das mit dem Camino ist etwas anderes“. – „Ich versteh Dich schon, hier sind alle gleich, egal was du bist, ob Professor, Arbeiter oder Hausfrau, wir sehen alle gleich aus.“
So sitze ich nun in der Casa Nova, im einzig geheizten Raum und warte auf das Abendessen. Es duftet danach, der Tisch ist gedeckt, aber alles ist dunkel, ich meine die Spanier sind ja bekannt für ihr spätes Abendessen, doch es ist schon nach halb neun, oder hat man vergessen die Uhr umzustellen!?
Aber wenn ich ganz ehrlich bin wäre mir eine heiße Dusche, ein warmes Bett und eine Flasche Vino Tinto jetzt lieber. 
Auf die heiße Dusche verzichte ich, da das Badezimmer eiskalt ist. Die Flasche Vino geht wegen meiner Medikamente nicht, einzig das warme Bett bleibt mir, da wenigstens auf meinem Zimmer die Heizung angesprungen ist. So gehe ich ohne Abendessen schlafen, macht auch nichts, schon öfter habe ich von meiner ‚Masse gezehrt‘.
Draußen stürmt es, es ist eine regnerische Nacht, doch was soll´s, als ich zum Frühstück komme, sitzen noch drei Pilger in der

Gaststube. Sie sind zeitig in Sarria gestartet und suchen nun Schutz vor dem stärker werdenden Regen. Heute ist Frühstück angesagt, Toast, Butter und Kekse, dazu ein Stück Kuchen, aber worauf es mir eigentlich ankommt, ist frischer Kaffee. Die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens.
Ein Nieselregen empfängt mich, doch ich bin gut eingepackt, meine Regenkleidung hält nicht nur dicht, sondern auch warm. Wie heißt es doch so schön, ‚die Kunst zu Leben besteht darin, zu lernen im Regen zu tanzen, anstatt auf die Sonne zu warten‘. So gehe ich an diesem Morgen meinem ersten Punkt der Erinnerung entgegen, Mercado.
Nachdem Gitte und ich uns letztes Jahr in Barbadelo getrennt hatten, kehrte ich in dieser kleinen Bar an der Kreuzung hinter Rente, kurz vor Mercado ein. Draußen war noch ein Tisch frei und ich holte mir, nachdem ich meinen Rucksack abgestellt hatte, einen Kaffee. Einfach mal die Seele baumeln lassen, ich war gut in der Zeit und würde mir die ein oder andere Pause leisten können. So hing ich meinen Gedanken nach, als mich ein junger Pilger ansprach. Ich deutete auf die Stühle und nickte ihm zu.
Wir waren uns schon öfter begegnet, aber nie ins Gespräch gekommen, es hatte sich nie ergeben. Was mir als allererstes auffiel, waren die Augen, dieser verlorene, suchende Blick, der allen Schmerz dieser Welt in sich trug. Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf seine Tasche, auf der ein Pilger-Sticker mit einem rot-weiß-grünen Rand aufgenäht war und sagte, „Italiener?“ Und er antwortete, „nein, Ungar!“ Mir fiel der ungarische Pilger namens Attila ein, von dem Gitte erzählt hatte. Er war mit der Asche seiner verstorbenen Frau unterwegs nach Fisterra, um sie dort im Meer zu versenken. So sagte ich zu ihm, „Du bist Attila, ich habe von dir gehört!“ Er lächelte und meinte, ich sei wohl mit einer deutschen Frau gelaufen. Ich sagte, „Gitte?“ und er nickte. Ich erzählte ihm die Geschichte, wie wir uns in La Faba getroffen hatten, aber eigentlich schon seit Astorga immer wieder begegnet waren. Attila - ich sollte Ihn noch öfter treffen, und irgendwann begann er zu erzählen, von seiner Frau, wie sie gemeinsam gepilgert waren und wie sie vom Tod von seiner Seite gerissen wurde.
In Ungarn hat man die Möglichkeit, seine Asche auf einer anonymen Wiese beerdigen zu lassen, da wird die Asche in die Luft geblasen und eine Sprinkleranlage verhindert, das die Asche über den Rand der Wiese hinweg geblasen wird. Einen kleinen Teil bekam er in einen Kristall eingefasst und mit diesem sei er nun unterwegs. Es war der Beginn einer bis heute anhaltenden Freundschaft.
Selbst auf die kurze Strecke werde ich heut ‚nass wie die Katz‘ und zu allem Überdruss ist die Bar auch noch geschlossen, was bedeutet, dass aus meinem Kaffee ein frisches Cerveza con Lemon, ein Radler oder im Norden ‚Alsterwasser‘ wird. Aber erst in Morgade. Zuvor kommt noch der ‚Hundertkilometerstein‘ kurz hinter Brea.

Auf dieser Strecke trafen Frederic und ich, zwei Jahre zuvor, das erste Mal auf die französischen Pfadfinder, dutzende Gruppen, hunderte Pfadfinder. Frederic war hin und weg, das sprengte alles, was wir die letzten Wochen erlebt hatten.
Auch Caroline und ich hatten hier eine Begegnung der besonderen Art. Am ‚Hundertkilometerstein‘ trafen wir auch Rimini, den wir schon seit Tagen nicht mehr gesehen haben, wieder. Wir nannten ihn nur Rimini, ein Italiener, der in seiner Heimat Italien, in Rimini, zu Fuß gestartet war. Wir trafen ihn das erste Mal in Grañon, in der Herberge, ein einfacher Pilger, der immer ein Lächeln übrig hatte und sich über jeden freute, den er wiedertraf. So wurden wir ‚Pilgerfreunde‘. Mal liefen wir miteinander, mal trafen wir uns tagelang nicht, dann mal wieder abends in der Herberge, unverhofft, doch der Jubel war groß und alle teilten unsere Freude. Am allermeisten stolz war der Hospitalero in Astorga, der beobachtete, wie fertig und abgekämpft wir nach 32km in der sengenden Sonne ankamen und erst mal auf die Stühle vor der Herberge sanken und platt waren. Später in der Herberge kam Rimini und wir führten einen Freudentanz der Begrüßung auf, wie weggeblasen war die Erschöpfung, man spürte förmlich, wie stolz der Hospitalero war, solche Begegnungen zu erleben!
Ich schweife mal wieder ab. Was ich eigentlich sagen wollte, wir liefen in Sarria morgens früh los und trafen am Vormittag auf Rimini, den wir das letzte Mal im Bierzo gesehen hatten. Schon von weitem fuchtelte er mit den Armen und rief uns was zu, aber wir verstanden nichts, denn das Bezeichnende an dieser ‚Pilgerfreundschaft‘ war, er sprach kein Deutsch und wir kein Italienisch, aber wir ‚unterhielten‘ uns gerne. Als wir bei ihm ankamen, wurde uns klar, wir stehen am ‚100-Km-vor-Santiago-Stein‘, wir begannen uns gegenseitig zu fotografieren und im nu war eine Pilgeransammlung um uns entstanden. Eine Spanierin meinte, mit ihrem Credencial angeben zu müssen, der - obwohl erst wenige km in Galizien unterwegs - schon 10 Stempel hatte, wobei sie erst am O Cebreiro gestartet war.
Worauf Rimini seine Credenciales zückte und ein Raunen durch die Menge ging.
Was mich aber richtig stolz macht, mit diesem Pilger den Weg teilen zu dürfen - wir kamen an, freuten uns über die letzten hundert Kilometer und man sah das Glück auch seinem Gesicht an, und dann kam die Geschichte mit den Credenciales. Er wäre einfach weitergegangen, wären da nicht die "Prahlpilgers" gewesen. Bei der ganzen Aktion sprach er kein Wort, doch ich ahnte seine Gedanken, es waren Gedanken des Glücks und der Dankbarkeit, mehr nicht und ich glaube, das konnte man an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Er machte Rast und wir gingen weiter, so wie die letzten 500km aber ich hätte gerne seinen Gesichtsausdruck gesehen, als er dann einen Kilometer weiter vor dem ‚richtigen‘ 100-km-vor-Santiago-Stein stand. Wir hatten nämlich am alten Stein „gefeiert“, denn da sich die Wege immer wieder änderten, verändert sich auch die Distanz hin und wieder. Frederic und ich hatten hier ein Jahr später ein ‚Fotoshooting‘ mit den Pfadfindern und in den nächsten Tagen hörten wir immer wieder von vorüberziehenden Jungs ein „Hola Frederico“ oder „Hola Claudio“, jeder kannte uns natürlich von unseren Namensschildern am Rucksack.
Es regnet immer noch, als ich am Stein ankomme, ein Ehepaar erwartet mich schon freudig mit der Kamera in der Hand, ich lächle, denn nun muss ich nicht auf die nächsten Pilger warten, um diesen ‚geschichtsträchtigen‘ Moment festzuhalten. Schnell einige Fotos geschossen und schon geht es weiter, es ist viel zu ungemütlich und so geht es zielstrebig Morgade entgegen.
Die Bar füllt sich und ich nehme gleich einen Stuhl am Ende des Raumes in Beschlag und ehe ich mich versehe, machen sich vier Holländer an dem Tisch breit. Ja so kennt man sie. Am Nebentisch seh‘ ich einen freien Stuhl und deute darauf, ein Pilger in meinem Alter nickt und meint nur „Crazy Dutch“. Die beiden Pilger am Tisch sind David, ein Texaner und Justin, ebenfalls aus Amerika. Als ich grinse, meint Justin, der jüngere von beiden, da sei wohl ein Unterschied! Beide sind in Saint Jean Pied de Port gestartet und schon fast vier Wochen unterwegs und ich entgegne, „so schnell habe ich es noch nie geschafft“. Worauf David meint, „Du bist schon öfter gegangen?“ und ich erzähle ihm die Geschichte.
David begeistert sich gerade an einer Plato Combinado und meint, DAS sei ein American Breakfeast, mit dem spanischen Frühstück könne er sich nicht anfreunden. Wer um alles in der Welt versaue seinen Kaffee mit Milch und esse dazu noch trockenes Brot! Nun, zumindest beim Kaffee kann ich ihm zustimmen. Ich habe hier eine längere Rast eingeplant und während die beiden wieder aufbrechen, überlege ich noch, ob ich eine Caldo Galego, eine galizische Kohlsuppe esse. Ihr Ziel ist Portomarin, ich hingegen will nur nach Mercadoiro, das reicht mir, so kann ich am nächsten Tag über Portomarin nach Gonzar gehen. Als ich dann meine Kohlsuppe bestellen möchte, gibt es keine mehr, eine koreanische Pilgergruppe habe das Zeug literweise in sich hineingeschüttet, meint der Wirt und ich sage „y cerveza!“, worauf er antwortet, „si, y cerveza“, und Bier. Diese Gruppe gehe den Weg im Bierrausch.
Ich entschließe mich zum Aufbruch, um in Fereiros an einem kleinen Rastplatz meine Pause fortzusetzen, ich hab‘s ja nicht mehr weit. Mittlerweile haben sich die Wolken gelichtet und die Sonne kommt hervor, es wird hell und das mittags um halb zwei. Der Rastplatz ist zwar vom ‚Sturm des Sommers‘ etwas in Mitleidenschaft gezogen, aber doch noch ganz passabel.


Wieder einmal hänge ich meinen Gedanken nach, als unverkennbar ‚koreanisches Gezeter‘ meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Einige Koreanerinnen, die das Schild vor der Bar begutachten, sind ziemlich aufgebracht, als sie lesen das hier eine Plato Combinado gerade mal 50 Cent mehr kostet als vor einigen Kilometern ihre ‚Wassersuppe mit einigen Kohlblättern drin"
An diesem Nachmittag komme ich unerwartet zügig voran, so dass ich in Mercadoiro angekommen den Entschluss fasse, nach Portomarin weiterzugehen.




Knapp 6km, dann steige ich in Portomarin mit den letzten Sonnenstrahlen die Treppe zur Stadt hinauf und mein Weg führt mich zielstrebig zur Albergue Porto Santiago. Schon seit Jahren versuche ich, in dieser Herberge ein Bett zu bekommen, vergeblich, der Ansturm im Sommer ist zu groß, und ich bin zu langsam.
Doch heute soll es klappen. An diesem Abend erlaube ich mir etwas, was ich sonst immer vehement ablehne, ich belege mein Bett und verzupfe mich sofort in die Stadt, suche mir ein Restaurant und gönne mir ein Pilgermenü. Vor dem ersten Restaurant stehen zwei alemannische Pilger und ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe zurück zu dem kleinen Restaurant gegenüber der Kirche. Mein Magen knurrt, so bestelle ich mir mein Pilgermenü mit Spaghetti und Hauptgang, danach eine Tarta Portomarin, eigentlich das gleiche wie eine Tarta Santiago, nur mit weißen Mandeln. Zum Abschluss gibt’s noch einen Kaffee.
Als ich später auf dem Weg zur Herberge die Plaza Conde Fenosa, den Platz vor der Kirche überquere, sehe ich noch einmal die ‚vielen Tausend‘ Pilger vor meinem geistigen Auge, die vor zwei Jahren diese Plaza bevölkert hatten.
Frederic und ich kamen abends nach Portomarin und restlos alles und jedes Bett war belegt, die Albergue Municipal war Completo und die dazugehörige Notherberge gegenüber war auch voll. Monika, unsere australische Mitpilgerin, war zügig durchgegangen und hatte noch ein Bett ergattert. Frederic, Friderike und ich kamen zu spät an, der Ort war voller Pilger. Wir pilgerten nun mal im Heiligen Jahr, 2010, man rechnete mit einer Million Pilgern, doch bis jetzt hatten wir immer Glück gehabt mit unseren Betten.
Als wir gerade weiterlaufen wollten, kam Cindy, eine amerikanische Mitpilgerin. Sie hatte in der öffentlichen Herberge noch ein Bett bekommen und forderte uns auf mitzukommen, sie wisse, wo es noch Betten gebe. Sie führte uns die Straße neben der Herberge hinauf und etwa 50 Meter weiter oben sahen wir ein altes, leerstehendes Haus, na ja, jetzt nicht mehr, es wimmelte nur so von Pilgern und ich dachte, der Ort platzt wirklich aus allen Nähten.
Das leerstehende Gemeindehaus wurde für die Pilger geöffnet und es war brechend voll, wenn man reinkam links und rechts jeweils zwei Räume mit je 30 Pilgern auf dem Boden, Friderike bekam oben noch einen Schlafplatz, den letzten im Haus. Als wir wieder runterkamen, wurde gerade noch der Wintergarten geöffnet, wir mussten ihn nur sauber machen, so legten wir alle Hand an und bekamen einen Platz für die Nacht. Die Toiletten waren in einem Seitengang und nur in der Hinteren funktionierte das Schloss. Wenn man also auf die Toilette musste, schnappte man sich den nächsten Pilger, der vorbei kam und postierte ihn vorne am Korridor, er schob Wache.

Als wir später vom Einkaufen zurück durch die Calle General Franco kamen, war die Plaza voller Pilger, doch auf einmal verdichtete sich die Pilgermenge noch weiter und von hinten kamen immer mehr Pilger auf die Plaza. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass am Abend noch 1.400 Pilger in der Stadthalle untergebracht worden waren. Ich schätzte die Zahl der Pilger in Portomarin an diesem Abend auf über 2000.

Ein Tag inmitten von hunderten Pfadfindern und voller Erlebnisse für Frederic war zu Ende gegangen, aber auch ein Tag, der uns erahnen ließ, was noch auf uns zukommen würde. Ab jetzt atmeten wir wirklich den Atem der Zeit, tausende Pilger unterwegs nach Santiago, nach Wochen des Pilgerns waren es jetzt nur noch wenige Tage, das Ziel war zum Greifen nahe, aber auch so etwas wie Wehmut machte sich in mir breit.

rau und regnerisch kündigt sich der Tag an, als ich die Herberge verl