"Virus" Jakobsweg - "Infizierte" melden
sich zu Wort
Noch ein Buch zum Thema
Jakobsweg? Gibt es nicht schon genug Literatur zu diesem Thema? Wir finden -
Nein! Wir, das sind Menschen wie "du und ich", die ihren Traum
bereits in die Wirklichkeit umgesetzt haben und kleinere oder größere Teile des
Jakobsweges gegangen sind. Wir alle sind gleichzeitig Mitglieder des
Internetforums www.jakobus-peregrino.de. Wir ließen uns von dem
"Virus" Jakobsweg infizieren und sind uns sicher, dass er uns nie
wieder loslassen wird.
Jede(r) von uns hat in den
letzten Jahren viel Literatur zu diesem Thema gelesen, seien es Reiseführer
oder Reiseberichte. Und trotzdem verlieren wir das Interesse daran nicht. Denn
so verschieden, wie die Menschen sind, die ihn gehen, so verschieden sind auch
die Geschichten, die der Camino - wie der Jakobsweg auch genannt wird -
schreibt. Voller Begeisterung verfolgen wir aber auch Internetblogs oder
Forumsbeiträge anderer Pilger. Und so haben wir festgestellt, dass jede(r) von
uns seine Eindrücke und Erlebnisse auf seine eigene individuelle, aber ganz
besondere Art und Weise schreibt.
Birgit Reichwein und Andrea
Brückner hatten schließlich die Idee, das aufzugreifen und gemeinsam ein
"Forumsbuch" zu schreiben. Ein Buch, das wir in dieser Form auf dem
Markt noch nicht entdeckt haben. Kommen Sie mit uns auf den Camino Francés, den
bekanntesten Jakobsweg im Norden Spaniens, und erleben Sie ein Potpourri von
Erlebnissen, Gedanken und persönlichen Eindrücken. Wir haben uns selbst damit
einen Traum erfüllt, möchten aber auch Sie daran teilhaben lassen. Daher
richtet sich dieses Buch an alle, die bereits vom "Virus" Jakobsweg
infiziert sind oder sich infizieren lassen wollen.
Die Autoren des Buches
"Pilgerstimmen – Erlebtes und Gefühltes auf dem Jakobsweg – Pilger
berichten"
VK 23,90€, ISBN 978-3848259076 © Andrea Brückner, Birgit Reichwein 03/2013
In die Pyrenäen
rau und regnerisch kündigt sich der Tag an, als ich die Herberge verl
Meine Beiträge
¡Hola
Queridos!
Hallo Ihr
Lieben!
Viele
von Euch sind unsere Wege mitgegangen, in Gesprächen und in Rundbriefen live
vom Weg, habe ich Euch immer wieder an unseren Jakobswegen teilhaben lassen.
Dieses
Mal gibt es etwas ganz besonderes, letztes Jahr wurde ich von Freunden gebeten,
mich an einem Buch über den Jakobsweg zu beteiligen, erst mit 2 Beiträgen, zum
einen mit Caroline 2009 und zum anderen mit Frederic 2010, Auszüge aus meinen
Tagebüchern. Im Laufe dieser Arbeit kam mir der Gedanke „warum nicht einen
Beitrag über eine Etappe auf der ich mich der gemeinsamen Begebenheiten mit den
beiden erinnere und zudem noch meine eigenen Erinnerungen vom Vorjahr mit
einbringen konnte, Portomarin- Sarria.
Schnell
angemeldet konnte ich noch einen Platz auf dieser Etappe belegen und parallel
zur Arbeit an diesen Beiträgen plante ich meinen dritten Beitrag. Als mir ein
verwegener Gedanke kam, „warum nicht gerade diesen Beitrag direkt auf dem Weg
schreiben?“ also auf der Strecke von Sarria nach Portomarin.
Der
Gedanke nahm Gestalt an und als ich die Möglichkeit hatte bei Ryanair ein
günstiges Flugticket nach Santiago zu bekommen ging ich in die konkrete
Planung.
Nun
geht der Winter seinem Ende zu, die Beiträge sind geschrieben und redigiert und
der Druck steht
bevor.
Aus
diesem Anlass möchte ich Euch die Gelegenheit bieten diese Beiträge zu
lesen
2009
„Camino mit Caro“ (Kapitel 10-In der Hoffnung dass es
klappt)
2010
„Camino mit Fredo“ (Kapitel 19-Azofra nach Belorado)
2012
„Camino Galicien“ (Kapitel 36-Sarria nach Portomarin)
werden
in einem Buch veröffentlicht.
Um
Euch aber einen gesamt Einblick in Unsere Caminos zu bieten habe ich noch einen
Beitrag von 2011 „Camino Solo“ in dieser Mappe dazugestellt. Dazu wählte ich
die Etappe über die Pyrenäen, von deren Überquerung auch mein erster Beitrag
mit Frederic handelt, damit möchte ich auch aufführen wie man auf gleichen
Strecken verschiedene Eindrücke sammeln kann, was immer wieder zu Diskussionen
führt.
Das
Buch wird voraussichtlich im Frühjahr auf den Markt kommen.
Titel: Pilgerstimmen:
Gefühltes und Erlebtes auf dem Jakobsweg
Von der Haustür bis zum Camino Francés und nach
Santiago de Compostela
Herausgeber: Birgit Reichwein, Andrea Brückner
ISBN: 978-3-8482-5907-6
Gefühltes und Erlebtes auf dem Jakobsweg
Von der Haustür bis zum Camino Francés und nach
Santiago de Compostela
Herausgeber: Birgit Reichwein, Andrea Brückner
ISBN: 978-3-8482-5907-6
So
wünsche ich Euch beim Lesen mindestens so viel Vergnügen wie ich beim Schreiben
hatte und verbleibe bis im Sommer, wenn ich wieder einmal „Live berichte“ von
meinem Camino mit Fine schicke.
Euer Pellegrino Claudio
Camino 2009
Von Pamplona nach Santiago
Azofra
- Belorado
* * * * * *
Als nächstes ist
Pellegrino Claudio auf dem Weg von Azofra nach Belorado, dieses Mal mit seiner
Tochter Caroline, genannt Caro.
19
Azofra nach Belorado von Pellegrino Claudio
G
rau und wolkenverhangen zeigte
sich der Himmel, als wir an diesem Tag in Azofra in den Tag starteten. Die
‚Hühnerschau‘ in Santo Domingo war unser Ziel, zwar nur 16km, doch das hatten
wir uns verdient und einen Grund, etwas weniger zu gehen, gibt es immer. Es war
Freitag, eine Woche waren wir nun schon unterwegs und mehr als 140km gelaufen,
wir hatten allen Grund zur Freude und die berechtigte Hoffnung, in Santiago
anzukommen.
Die ersten Schritte verhießen uns
ein gutes Vorankommen, denn es war angenehm frisch und versprach, nicht zu heiß
zu werden. Außerdem war die Dose Pfirsichkompott, die jeder im Rucksack hatte,
der beste Antrieb. Und so eilten wir unserer ersten Bank entgegen. -
Dosenpfirsiche zum Frühstück, welch ein Luxus.
Eine liebgewordene Angewohnheit
der letzten Tage war es für uns geworden, auf dem ersten Rastplatz zu frühstücken.
Kurz vor Ortsende begann es zu regnen und wir machten uns ‚wasserdicht‘,
Rucksack einpacken und Regenjacken anziehen und beim Aufsetzen der Rucksäcke
die grinsenden Blicke der Mitpilger, die im T- Shirt vorüberzogen. Warum sie
grinsen? Man könnte es auch lächeln nennen! Denn zwei Minuten und kurz hinter
der Gerichtssäule El Rollo hörte
es auf zu regnen und damit auch für den Rest des Tages, aber es blieb den
ganzen Vormittag über angenehm bewölkt, jedoch trocken.
Der
lange Weg nach Cirueña
Nach unserem Frühstück, das wir
mangels einer Bank auf dem Rand einer Kanaleinfassung genossen, ging es dann
durch die ausgedehnten Weinberge des Rioja, was uns an die Weinberge der Heimat
erinnerte. Nur dass hier die Wege nicht mit Beton zugeschüttet sind sondern
‚Natur pur‘ und angenehm zu laufen, ein Laufen, an das wir uns später noch oft
erinnern würden, als wir auf die Pilgerpisten in der Meseta kamen. Forumsbuch:
Pilgerstimmen 21. Januar 2012
So kamen wir zügig nach Cirueña,
doch der kilometerlange Anstieg zum Dorf hinauf hatte es noch einmal in sich.
Aber wir wurden mit einem schönen Rastplatz belohnt und hatten Gelegenheit, das
Neubaugebiet zu bestaunen, das ein findiger Investor vor dem Dorf angesiedelt
hatte. Wirklich schön anzusehen, doch einhellig waren wir der Meinung, dass uns
das alte Dorf besser gefiel. So ging es weiter durch den Ort in Richtung Santo
Domingo de la Calzada, welches wir gegen Mittag erreichten.
Santo
Domingo de la Calzada
Schon von weitem sahen wir es vor
einem für diese Region typischen Kegelberg, wobei sich die Stadt harmonisch in
die Landschaft einschmiegte, allein der weiße Getreidespeicher, der am Rand der
Stadt stand, ließ sie schon von Weitem sichtbar werden. Vorbei an ausgedehnten
Weizenfeldern ging es nun weiter auf dem Sternenweg, wie der Camino auch
genannt wird, in Richtung Westen.
Wenn der Wind ungünstig steht und
an diesem Vormittag tat er das, roch man die Kartoffelfabrik am Rand der Stadt,
lange bevor man sie sah. Der Camino führte uns von der Seite in die Stadt und
zur Kathedrale, was sie eigentlich nicht mehr ist. Aber sie wird immer noch so
genannt. So wie der Camino in die Stadt führt, lässt sich die wahre Größe von
Santo Domingo de la Calzada nicht einmal im Entferntesten erahnen. Immerhin hat
die Stadt 5300 Einwohner. Der Weg führte uns im Norden der Stadt über die Calle
Mayor, vorbei an der Pilgerherberge zur Plaza del Santo mit der Kathedrale.
Auch hatte uns mal wieder der
Touristenrummel erwischt, so nahmen wir als allererstes eine Bank in Beschlag,
Caroline hielt die Stellung und ich organisierte was zum Essen. Ein Supermercado ließ sich nicht finden. So kam ich durch das Gewinkel
der Gassen auf die Hauptstraße, die Avenida Juan Carlos1, an deren Rand sich
eine ‚Restaurant-Meile‘ befindet. Alles, nur kein Supermercado! So gehe ich den Weg zurück, vorbei an
Delikatessenläden, in eine Panadería und
kaufe ein riesiges Weißbrot, ofenfrisch, für uns war das eine Delikatesse. Wir
merkten dass ‚unsere Bank‘ vor dem Parador stand, doch es störte uns nicht.
Dieser Parador war ein mittelalterliches Pilgerhospiz, das heute zu einer Reihe
von Hotels gehört, die sich Paradores nennen,
Hotels der gehobenen Preisklasse.
‚Pilgergucken‘
vor der Kathedrale
‚Pilgerguckend‘, aber weitgehend
wortlos, saßen wir auf der Bank. Caro berichtete von den Eses, Papa so um die vierzig, mit seinen beiden Söhnen,
schätzungsweise neun und zehn Jahre alt, die gegenüber auf einem Mauersims
sitzend ihr ‚Unwesen‘ trieben. Wir waren uns aber nicht sicher, ob es nun
Jungs oder Mädels waren, Caro meinte Jungs, ich sagte Mädels, daher auch der
Name ‚die Eses‘. Das Einzige, wo
wir gleicher Meinung waren: Sie sind Waldorfschüler und ihr Papa evangelischer
Pfarrer. Was uns zu dieser Annahme bewog, war ein Nachmittag in Los Arcos in
der Flämischen Herberge, in der sie um die Nachmittagszeit, als viele Pilger
schliefen und sich von der Tagesetappe erholten, quer durch den Schlafsaal
tobten, ohne Rücksicht auf Verluste.
Da ‚erscheint uns die Wienerin‘
im wahrsten Sinne des Wortes über den Platz schwebend, auch das englische
Ehepaar, welches uns vor dem Weinbrunnen Irache fotografiert hatte, war da.
Erschlagen von der Menschenmenge entschlossen wir uns, den Hahn, der unserer
einhelligen Meinung nach besser in einer Pfanne aufgehoben wäre, anzusehen und
dann das Weite zu suchen, selbst wenn das bedeutete, heute Nachmittag noch 7- 8
km zu gehen.
Doch zuerst einmal zur
Hühnerschau. Der Hahn in der Kathedrale, der kräht, wenn man die Kirche
betritt, soll bedeuten, dass man Santiago erreicht. Also ein gutes Omen! - Als
wir die zwei Vögel erblickten, mussten wir grinsen und Caro meinte, „wie soll
man die denn hören, die sind ja hinter Glas".
Die
Hühnerlegende
Der Legende nach soll hier eine
Familie aus Xanten übernachtet haben und die Wirtstochter fand den Sohn ganz
attraktiv und wollte ihn verführen, doch ‚keusch und rechtschaffen‘ lies der
sich auf nichts ein. Die erzürnte Wirtstochter sann auf Rache und versteckte
einen Silberbecher in seinem Gepäck. Als der Wirt am nächsten Tag den Verlust
bemerkte, schickte dieser den Stadtbüttel aus, um den Becher zu suchen und fand
ihn auch schnell, der Sohn wurde gehängt und die Eltern zogen weiter nach
Santiago.
Als sie auf dem Rückweg wieder
durch die Stadt kamen, hing ihr Sohn immer noch und sagte zu ihnen das er noch
lebe, weil der Heilige Jakobus ihn hochhalte, da er von seiner Unschuld
überzeugt sei. Sie gingen zum Richter um ihm davon zu berichten, doch dieser
meinte, ihr Sohn sei genauso tot wie die gebratenen Hühner, die vor ihm auf einer
Platte lagen. Worauf sich die beiden Hühner erhoben und wegflogen.
Der Sohn wurde ab- und die
Wirtstochter aufgehängt!
Benannt ist die Stadt nach ihrem
Gründer Santo Domingo de la Calzada, der hier eine Brücke
anlegte und ein Hospiz eröffnete.
Die
Brücke über den Rio Oja
So verließen wir Santo Domingo
über die Brücke des um diese Jahreszeit ausgetrockneten Rio Oja, der dieser
Region den Namen gibt. Wir kamen in eine Landschaft, wie sie zum Vormittag
nicht gegensätzlicher sein konnte, denn ausgedehnte Sonnenblumen Felder
bestimmten von nun an das Landschaftsbild. Auch hatte es mittlerweile
aufgeklart und die Sonne schien wieder wie eh und je. Doch es waren nur etwas
über sieben Kilometer nach Grañon, mit einer einfach Herberge im Turm und
Chorgestühl einer Kirche.
Flucht
ist unser erster Gedanke
Als wir dann am Nachmittag Grañon
erreichten, hatten wir auch unser Limit - dreiundzwanzig Kilometer - erreicht
und waren platt, aber das genügte ja auch. Die Herberge neben der Kirche war
auch leicht zu finden, so stiegen wir den Turm hinauf ins Chorgestühl und
fanden einen altertümlichen Aufenthaltsraum mit Küche und einem riesigen
Schreibtisch im Korridor, sanitäre Anlagen die uns ob des Alters erschauern
ließen, aber relativ sauber. Wir bekamen unsere Sportmatten eine Etage tiefer
und selbst in Caros Augen war der Gedanke an Flucht zu lesen. Doch keiner war
bereit, noch weitere 4km zu gehen, so fügten wir uns unserem Schicksal und es
wurde einer der schönsten Abende des Caminos.
Glücklich
nicht geflohen zu sein!!
Nachdem wir uns ‚eingerichtet‘
hatten, nahm ich mein Tagebuch und ging nach oben, ich wollte schreiben, Caro
wollte etwas schlafen. Doch zum Schreiben kam ich nicht, gegen fünf begann die
resolute Hospitalera in der Küche zu werkeln und ich gesellte mich zu den
anderen helfenden Hände und half, das Abendessen zu kochen, zumindest die
‚Schnipseleien‘ durften wir übernehmen. Mittlerweile hatte ich auch die Eses wiederentdeckt, auch die ‚Abiturientin‘, ‚die
Wienerin‘, ‚das schwedische Ehepaar‘ mit ‚Henning und Kumpel‘ im Schlepptau.
Alle waren da! Und dann kam beim Abendessen eine der herausragenden
Bekanntschaften des Jakobsweges dazu, ‚Rimini‘, er sollte uns bis kurz vor
Santiago begleiten, dort verloren wir Ihn aus den Augen. ‚Rimini‘ nannten wir
ihn deswegen, weil er zuhause in Rimini im Frühjahr losgegangen war.
Nach der Abendmesse gab es einen
typisch Spanischen Eintopf mit Kartoffeln, Zwiebeln und Chorizo, dazu Brot und
danach noch eine Salat mit Flipper (Thunfisch) und natürlich Vino Tinto. Es wurde ein geselliger Abend, der mit einer schönen
Andacht und auf einer harten Sportmatte endete und ich spürte Caros
Ergriffenheit von diesem Abend, ich selbst war so müde, das mir nicht einmal
der harte Untergrund etwas ausmachte.
Ultreia
et Suseia
Am nächsten Morgen wurde ich mit
einem Schmunzeln im Gesicht wach, denn ich hörte oben im Aufenthaltsraum
Stimmen, was eigentlich nichts Außergewöhnliches wäre, doch die Stimmen sangen,
nicht etwa ein X-beliebiges Lied sondern ‚Ultreia et Suseia‘. Schmunzeln musste
ich deswegen, weil wir uns gestern Abend in der Andacht so vorgestellt hatten.
Nachdem Jean, der Hospitalero -
ein Benediktiner aus Lyon, uns aufgefordert hatte, jeder solle sich mit Worten
in seiner Landessprache, die ihn gerade bewegten, vorstellen, hatte ich gesagt,
"Ultreia et Suseia" und Caroline die Übersetzung dazu ‚bis Santiago
und darüber hinaus‘, wonach ein Ruck durch den Benediktiner ging und er am Ende
der Andacht noch die Bedeutung erklärte. Man wisse nicht genau, aus welcher
Sprache es komme, vermute aber eine Mischung aus Französisch, Spanisch und
Baskisch. So kam es, das an diesem Morgen niemand, aber auch wirklich niemand
das Refugio verlies, ohne Ultreia zu singen oder zumindest, wie ich, zu
pfeifen.
„Singen - boäh pfui Spinne",
ich pfiff so wie jeden Morgen auch hier ‚Ultreia‘, dazu gab´s noch einen Cafe con leche und leckere Kekse, also ‚spanisches Frühstück‘.
Wir
verlassen Grañon mit einem Schattenbild
Mit der Sonne im Rücken verließen
wir Grañon in Richtung Belorado, nicht ohne ein Schattenbild zu machen und an
einem Gebüsch hinter dem Ort gab‘s noch leckere Kirschen als Zugabe. Da die
Sonne im Osten aufgeht und der Camino uns nach Westen führte, starteten wir
jeden Morgen mit der Sonne im Rücken, und liefen unseren Schatten hinterher,
die nach Santiago vorauseilten.
So gestärkt ging es in den jungen
Tag, Belorado entgegen und das wollten wir auch einhalten. Zwar etwas wenig für
den Tag, nur 16km, doch mit der Strecke von gestern kamen wir auf einen
Tagesschnitt von 20km und dass war genug.
Sonnenblumenfelder
soweit das Auge sieht
Auch war es ein angenehmes
Laufen, denn alle 3 bis 4km kam ein Dorf und in Viloria, dem Geburtsort des
heiligen Domingo, trödelten wir bei einem Eis etwas länger rum. Unterwegs
hatten wir auch Begegnungen der außergewöhnlichen Art, denn wir trafen
freilaufende Siamkatzen, noch dazu zutraulich, wie man es in Deutschland nicht
kennt. Gegen ein Uhr waren wir in Belorado in der ersten Herberge und freuten
uns auf einen Bummelnachmittag. Caro fiel ins Koma und ich machte meine Wäsche,
ging einkaufen und kochte unsere ‚Pilgerspaghetti‘.
Belorado
Beim Einkaufen traf ich auf ein
Gruppe Freunde aus aller Herren Länder, die bei einem Kurzbesuch bei einem
Freund in Florenz auf die Idee gekommen waren, eben mal einige Wochen auf den
Jakobsweg zu gehen. Einfach so, man hat ja nichts Besseres zu tun, was ich von
einem Australier erfuhr, der dazu gehörte. Er sprach deutsch, denn seine Mutter
stammte aus Kassel und war nach Australien verheiratet und fand es gut, wenn
ihr Sohn sich mal einige Zeit Europa anschaute. Natürlich mit dementsprechend
viel Taschengeld ausgestattet, doch der Jakobsweg regelt alles, so wie wir
Freundschaften und Gruppen entstehen sahen, so sahen wir auch, wie sich diese
Gruppe in den Weiten des Jakobsweges verlor. Man hörte sie nur den ganzen Abend
und die halbe Nacht feiern - und den Rest der Nacht kotzen … . Unterwegs in der
Meseta sahen wir dann noch mal den einen oder anderen alleine gehen. Doch
ansonsten verloren wir sie alle aus den Augen
Camino 2010
Von Saint Jean Pied de Port nach Santiago de Compostela
Saint
Jean Pied de Port - Roncesvalles
* * * * * *
Eine Besonderheit ist
es auf jeden Fall, wenn der Camino ein ‚Generationen-Erlebnis‘ wird.
Wir bereits erwähnt,
begleiten wir im nächsten Beitrag Pellegrino, der den Camino Francés mehrfach
gegangen ist – sowohl alleine als auch nacheinander in Begleitung seiner
Kinder. Im folgenden Beitrag startet er in Saint Jean Pied de Port zu der
anspruchvsollen Etappe über die Pyrenäen mit seinem damals 13-jährigen Sohn
Frederic.
10
In der Hoffnung, dass es klappt von Pellegrino
Claudio
Mit meinem Sohn
Frederic über die Pyrenäen nach Roncesvalles
W
ir hatten Bayonne
noch nicht richtig verlassen, da gab Frederic ‚unserem Weg‘ sein Motto.
Überwältigt von dieser schönen Pyrenäenlandschaft kniete er auf seinem Sitz,
blickte in die Runde und seufzte, für meine Begriffe etwas zu laut, aber ich
wollte seine Freude nicht dämpfen, es verstand ihn ja doch niemand „weißt du,
eigentlich kann man von den Leuten hier ja nicht verlangen dass sie Deutsch
verstehen". Da stand vier Reihen vor uns eine junge Frau auf und meinte
„doch, wir verstehen euch, wir sind Deutsche". Na toll, dachte ich, so
ungefähr habe ich es mir vorgestellt, noch nicht richtig auf dem Weg und schon
geht's los, Frederic macht uns bekannt.
So
kam es das unser Camino 2010 unter dem Motto ‚Menschen am Wegesrand‘ stand.
Wir
fuhren mit dem Bus nach St. Jean Pied de Port, da der Schienenverkehr wegen
Gleisbauarbeiten schon seit Monaten eingestellt war.
In die Pyrenäen
Auf der ‚Route de
Combo‘ ging es in einem leichten Nieselregen entlang der Nive in die Pyrenäen.
Gesäumt von malerischen Bergdörfern führte uns die Straße unserem Ziel
entgegen, Saint Jean Pied de Port, ein 1500-Seelen-Dorf in der Französischen
Region Aquitanien. Früher hatte die Stadt andere Namen wie Santa Maria
Cabo el Puente oder Sainte-Marie du Bout du Pont. Ihren heutigen
Namen, ‚heiliger Johann am Fuße des Passes‘ ist auf eben die Lage am Fuße des
Passes zurückzuführen. Sie ist Endpunkt der Via Podiensis und zugleich Beginn
des Camino Francés, des Weges der Franzosen. Hier hat man die Möglichkeit
zwischen zwei Varianten der Pyrenäenüberquerung zu wählen, zum einen die ‚Route
Napoleon‘ über den auf 1450m gelegenen Col de Lepoeder und zum anderen den Weg
durch ein Gebirgstal über Valcarlos und den auf 1000m gelegenen Ibañeta Pass,
die ‚Valcarlos Route‘. Wir wollen über die ‚Route Napoleon‘ gehen, da ich
letztes Jahr
mit Caroline in
Pamplona unseren Weg begonnen hatte, zog es mich dieses Jahr wieder in die
Pyrenäen. Einzig was Frederics Freude etwas ausbremste, war die holprige Nacht
im Liegewagen. Start mit einer Trauerfeier
Als wir in Saint Jean
Pied de Port ankamen, begrüßten wir erst einmal unsere deutschen Mitpilger,
Heinz und Gisela, Mitte dreißig und ihre Tochter Anne, ich schätzte sie in
Frederics Alter.
Heinz
ist den Weg schon einmal gegangen und möchte nun das Erlebte mit seiner Familie
teilen, zu Fuß nach Pamplona dann mit dem Zug nach Leon und den Rest wieder zu
Fuß bis Santiago, drei Wochen haben sie Zeit. Sie wollten auch gleich den Ort
besichtigen und zur ersten Etappe nach Orisson starten. Wir gönnten uns erst
mal was zu trinken, denn wir hatten vergessen, am Abend vorher in Paris Wasser
zu kaufen und hatten dementsprechend Durst. So kamen wir gerade mal zu dem
kleinen Lebensmittelgeschäft in der Av. Renaud, doch wir hatten Zeit und
genossen die Vormittagssonne bei einem Kaffee und einer großen Cola.
Doch
dann hatte es Frederic sehr eilig auf den Weg zu kommen, zumindest zum
Pilgerbüro, unserem ersten Stempel entgegen, denn erst dann sind wir ‚richtige
Pilger‘.
In der Hoffnung Marie
wiederzusehen treibt es auch mich voran. Sie gehört zu den Jakobsfreunden,
den Amis de Saint Jaques, einer Ortsvereinigung im Regionalverband
"Aquitaine". Ich habe sie vor zwei Jahren kennengelernt, als ich erst
spät nachmittags ankam und sie mir ein Bett in Orisson reservieren ließ. Sie
stammt aus Lothringen und war im Krieg als Kind nach Trier deportiert, so kamen
wir auch ins Gespräch. Als sie meinen Credencial stempelte und den
Stempel des Bistums Trier sah, meinte sie mit unverkennbar französischem Akzent
„oh unsere Jakobsfreunde aus Triärrrr".
Doch
Sie war nicht da und so ging es auch gleich weiter zur Kirche, wir wollten eine
Kerze anzünden. So wie Gisela im Bus kam nun auch eine ältere Holländerin auf
uns zu und meinte „ihr seid Deutsche?" ich nickte und sie sagte, dass sie
mit ihrem Mann hier mal nach Santiago gestartet sei und dieses Jahr machten Sie
Urlaub auf dem hiesigen Campingplatz. „Wir sind zu alt, doch wir wollen die
Strecke nochmal mit dem Camper abfahren", man spürte diesen Hauch von
Wehmut in ihrer Stimme, wie gerne Sie den Weg nochmal gehen würde.
So
war es schon Mittag, als wir unten in der Kirche ankamen. Es fand gerade ein
Gottesdienst statt, was mich wunderte denn es war erst Donnerstag. Doch wir
setzten uns andächtig dazu und feierten mit den anderen die heilige Messe. Wir
waren die einzigen Pilger, was ich sehr komisch fand, aber da schubste mich
auch schon Frederic an und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Sarg, der
vorne vorm Altar stand. Na toll, da waren wir mitten in eine Trauerfeier
geplatzt!
Ich
signalisierte ihm sitzen zu bleiben. „Da müssen wir nun durch", flüsterte
ich ihm zu. Nach der Trauerfeier zündeten wir unsere Kerzen an und verließen
die Kirche. Noch einige Bilder von der malerischen Fassade entlang der Nive und
noch in ein ‚Souvenirgschäfderl‘, denn Frederic wollte noch einen Hut kaufen.
O-Ton Frederic: „Einen echten Pilgerhut kauft man nur am Pilgerweg, dann ist er
echt!"
Auf nach Huntto
‚Am Brunnen vor dem
Tore‘ füllten wir unsere Wasserblasen, zum ersten aber nicht zum letzten Mal an
diesem Tag, denn es versprach heiß zu werden. Dann noch etwas ausruhen -
Frederic korrigierte mich, „wir Chillen" - , dann ging es los. Ihr wisst
ja, die ersten Kilometer hinter Saint Jean sind die schlimmsten, selbst
Frederic schaltete einen Gang zurück.
Doch
wir kamen gut in den Nachmittag und bis nach Huntto ist es ja nicht allzu weit.
Dort blieben wir deswegen, weil ein Bett gerade mal die Hälfte von dem kostet,
was wir bei Jean Jacques in Orisson bezahlen würden. Gut, bei ihm bekämen wir
zwar ein Abendessen und Frühstück, doch wir hatten noch unsere Brote und das
genügte uns. Also dann ‚auf nach Huntto‘!
Dort angekommen
machte ich aufgrund meiner mangelnden Französischkenntnisse einen gravierenden
Fehler. Ich entschied mich für das Gästehaus ‚Ferme Iturburia‘, und nicht für
die angeschlossene Gite d´Etape. Und somit zahlten wir sogar vier Euro
mehr als bei Jean Jaques. Unsere deutschen Mitpilger trafen wir dann auch
wieder, denn sie gingen an diesem Nachmittag auch nicht nach Orisson.
Die
Übernachtung war aber ihr Geld wert, auch wenn es ein großes Loch in unsere
Pilgerkasse brannte. Zum Abendessen gab es Entenbrust mit Gemüse und
Kartoffeln, als Dessert Eistorte, vorweg eine Kohlsuppe. Eine lange Tafel war
gedeckt und es gab feste Sitzplätze, die Mme. Marie von vornherein festlegte.
So kam
es, dass Heinz und
Gisela samt Tochter am anderen Ende der Tafel saßen und somit eine Unterhaltung
kaum möglich war.
Mit
an dem Tisch saßen noch drei junge Pilger und mehrere französische Wanderer,
denn die Region um Saint Michel ist ein beliebtes Wandergebiet. Bald schon
registrierte ich, dass Heinz im Gespräch mit den drei Pilgern regelrecht
aufblühte. Durch das Gemisch aus englisch und spanisch, genannt ‚Spanglisch‘,
wurde seine Frau mangels Sprachkenntnissen immer stiller. Die Tochter versuchte
anfänglich noch, sich am Gespräch zu beteiligen, doch gab sie dann irgendwann
auf. Fredo und ich ließen es uns derweil schmecken. Franzosen links und rechts
von uns und auch noch gegenüber, man unterhielt sich mit Händen und Füßen, denn
da toppen sie sogar noch die Spanier, mit ihrer Abneigung dem Englischen
gegenüber.
Nachdem
sich Frederic noch eine zweite Portion Eis hatte aufdrängen lassen, löste sich
die Tafel auch auf. Heinz und Gisela meinten, dass sie morgen früh los wollten,
schließlich sei es kein Zuckerschlecken bis Roncesvalles. Wie wahr, wie wahr,
Gisela hatte heute von der kurzen Strecke Blasen an den Füßen.
Auch
wir zogen uns zurück, Rucksäcke für den nächsten Tag richten. Wir hatten zwar
ein Doppelzimmer, doch in den Herbergen ist es besser, wenn man abends schon
alles richtet, damit man am nächsten Morgen nicht so viel scheppert. Zum
anderen ist es gut wenn man morgens zügig los kommt.
Als wir dann am
nächsten Morgen mit dem ersten Tageslicht aufstanden zog der Nebel vom Tal
herauf. Zum Frühstück gab es Café au Lait, für mich schwarz, Brot, Butter
und Marmelade und dann starteten wir in den Nebel.
Virgen
d´Orisson
Zuerst ging es ein
Stück auf der Straße, als wir unter uns Stimmen im Nebel hörten. Da schälten
sich auch schon die ersten Pilger aus dem Grau, eine französische Jugendgruppe
die sich auf dem Weg nach Roncesvalles befand.
Heinz, Gisela und
Tochter Anne waren schon weg und ich fragte mich, ob das wohl gut geht. Unser
nächstes Ziel war Orisson, die Gite von Jean Jacques. Dort spendierte
Frederic einen Kaffee und ´ne Cola. Der Nebel hatte sich mittlerweile verzogen,
aber das Wetter blieb wechselhaft. Mal war es trüb, mal bewölkt, aber trocken.
Es regnete aber im Gegensatz zu den Jahren davor nicht.
Noch
nicht, denn ich wusste wie wechselhaft das Wetter in den Pyrenäen sein kann!
Einen
letzten Blick zurück in Richtung St. Jean und wir sahen, wie sich der Nebel im
Tal hielt. Frederic war begeistert, „das ist so als wenn man aus einem
Flugzeug, das über den Wolken fliegt, guckt!"
Wir
kamen gut voran, die Virgen d´Orisson, eine kleine Marienstatue zwischen den
Felsen, war bald erreicht. Frederic war vor mir da und kletterte schon in den
Felsen rum und zeigte mit wedelnden Armen seine Begeisterung.
Wir
waren die Letzten auf dem Weg, der Aufstieg war schweißtreibend und als ich bei
einer Rast zu Frederic sagte, „wenn es mich hier zerbröselt, buddelst du ein
Loch und wirfst mich rein, nimm aber vorher meine Papiere und geh weiter nach
Santiago". Worauf er knochentrocken meinte, "und als letzten Atemzug
hauchst du mir die Geheimzahl deiner Visa-Card zu".
Das
war mein Fredo, diesen trockenen Humor hat er von mir!
Von Wilden Pferden
und zahmen Schafen
Am frühen Nachmittag
sahen wir die ersten wilden Pferde, die Pottok Ponys, eine seltene Ponyrasse
aus dem Baskenland. Waren Sie früher für die Bauern ein ‚Nebenprodukt‘ der
Berge, so züchtet man sie heute als Freizeitvergnügen, aber noch immer sind sie
auch ein beliebter Fleischlieferant. Immer wieder begegneten wir kleinen Herden
von fünf bis sechs Pferden, und als wir am Nachmittag den Col de Bentarte
erreichten, sahen wir unterhalb des Passes auch eine Schafherde.
Frederic erkannte
einen weißen Transporter an dessen geöffneter Seitentür Campingstühle standen.
Als wir näher kamen, erhob sich ein Mann und begrüßte uns. Er sprach deutsch,
sein Name sei Jan, er komme aus Bayonne und zähle hier die Pilger, die über die
Pyrenäen gehen. Nach Nationen getrennt machte er zwei Striche mit einem Edding
hinter Deutschland.
17 Deutsche waren vor
uns, insgesamt sind schon 177 Pilger durch, plus die 43 köpfige Jugendgruppe.
Das würde eng in Roncesvalles werden, 120 Betten in der großen Herberge, im
‚Schnarch Saal‘, aber wir nahmen es gelassen.
Bevor wir über den
Pass Richtung spanischer Grenze verschwanden, hütete Frederic noch die Schafe,
teilte die Herde in
zwei Hälften und war
für wenige Augenblicke ‚Herr der Welt‘, es ging Ihm gut und er begann sich
langsam einzulaufen. Auf den Spuren Ritter Rolands
Am Rolandsbrunnen
rasteten wir, ich erklärte Frederic die Bedeutung des Brunnens beziehungsweise
seines Namensgebers. Ritter Roland war ein Neffe und Paladin Kaiser Karls des
Großen, der mit seiner Nachhut das fränkische Heer decken sollte. Sie waren im
8. Jahrhundert auf dem Rückzug von den Maurenkriegen in Richtung Heimat
unterwegs, als sie der Sage nach im Gebiet von Roncesvalles in einen Hinterhalt
gerieten. Wie er es mit letzter Kraft noch schaffte, sein mächtiges Horn
Olifant zu blasen und damit Kaiser Karl zu Hilfe rufen konnte, der jedoch zu
spät kam. Sie unterlagen den baskischen Kriegern.
Das
Rolandslied, die Sage um Ritter Roland, geht in die Geschichte ein, und nun
saßen wir am Rolandsbrunnen und tranken dort Wasser. Wir waren einhellig der
Meinung, dass es nicht das beste Wasser war, aber da mussten wir durch, unsere
Vorräte waren leer und in weiser Voraussicht füllten wir sie auf.
Am
späten Nachmittag rasteten wir am Wegesrand, legen uns ins Gras und schliefen
etwas, bevor es weiter ging. Als wir den Waldweg weitergingen, sehen wir den
Nebel aus dem Seitental aufsteigen und gingen etwas schneller.
Als
wir dann aus dem Wald unterhalb des Col de Lepoeder herauskamen, meinte
Frederic, „Guck mal da, ein Refugio". Ich sagte zu Ihm da hätte er wohl
was verwechselt, doch als ich hinübersah, war da wirklich ein kleines Steinhaus
mit dem ‚Refugio‘-Zeichen über der Tür. Die Tür war nicht verschlossen, wir
konnten unserer Neugierde nicht widerstehen und riskierten einen Blick hinein.
Es war ein einfacher, schmuckloser, aber zweckmäßiger Raum mit zwei gemauerten
Pritschen und einem Kamin im Eck, davor stapelte sich armdickes Brennholz. Ich
dachte noch, hier zu Übernachten wäre bestimmt ein Highlight für Frederic.
Mit Paolo Coelho
durch die Berge Als wir weitergingen, kam der Nebel immer schneller
und keine hundert Meter hinter der Hütte waren wir ‚nebelfeucht‘. Ich erklärte
Frederic, dass es wohl besser wäre, die Nacht in der Hütte zu verbringen, denn
wenn wir warteten, bis das Wetter wieder umschlug, würde es dunkel. Das Funkeln
in seinen Augen verriet
mir, dass dies eine
gute Idee war, und so gingen wir das Stück wieder zurück. Kaum hatten wir uns
in der Hütte eingerichtet, donnerte und krachte es schon und Regen prasselte
aufs Dach.
Als
Abendessen gab es belegte Brote, die Reste unseres Reiseproviants, dazu Wasser
vom Rolandsbrunnen. Es wurde eine harte Nacht auf der Steinpritsche. Zwar hatten
wir unsere Isomatten dabei, doch die machten den Beton nicht unbedingt weicher.
Aber Hauptsache, wir hatten ein Dach über dem Kopf und waren im Trocknen. Als
es dann nachts kalt wurde, zündeten wir den Kamin an.
Das
war Abenteuer pur, alleine in den Bergen, prasselndes Kaminfeuer, jetzt fehlte
nur noch das Geheul von Wölfen. Ein Erlebnis für Fredo, von dem er auch heute
noch schwärmt!
Wir
wollten am nächsten Tag trotzdem nur bis Roncesvalles, und somit benötigten wir
drei Tage über die Pyrenäen, eigentlich vier, wenn wir den einen Tag bis Zubiri
über den Erro-Paß dazurechneten.
So
erzählte ich Frederic von Paolo Coelho, der von seinem Führer auch mehrere Tage
durch die Pyrenäen geführt wurde. Für einen Weg, den man an einem Tag gehen
konnte. Als wir morgens aufwachten war es neblig und an ein Weitergehen wollten
wir noch nicht denken, denn die sechs oder sieben Kilometer würden wir mit
links schaffen! So warteten wir, bis sich der Nebel verzogen hatte und setzten
dann unseren Weg nach Roncesvalles fort. Frederic zählte den Abstand zwischen
den Seitenpfosten und erklärte mir, wie wichtig es sei, sich bei Nebel daran zu
orientieren, schließlich hatten wir ja gestern Abend am eigenen Leib erfahren,
wie schnell es gehen konnte. Ich musste innerlich grinsen, höre ihm aber mit
ernster Miene zu und freute mich, ‚wiedermal was dazugelernt zu haben‘.
Oben
am Pass waren einige Wanderer, die von der spanischen Seite einen Ausflug in
die Berge machen. Wir rasteten kurz, bevor es an den Abstieg ging.
Durch den Wald nach
Roncesvalles Die Straße überquerend, dort wo man die Wahl zwischen
der Asphaltpiste und dem Weg durch den Wald hat, meinte Fredo, „wir gehen durch
den Wald!" Ich war zwar skeptisch, denn der Weg hatte nicht gerade den
besten Ruf, besonders wenn es die
Nacht vorher geregnet
hatte und wie ein matschiger Weg aussehen kann, war mir nur zu gut in
Erinnerung, doch ich nickte ihm zu.
Der
Weg entpuppte sich als ein schöner Weg, der kein bisschen rutschig war und so
kamen wir zügig ins Tal. Die Herberge öffnete erst um 16.00 Uhr, und damit
hatten wir noch einige Stunden Zeit. Frederic spielte im Wildbach unterhalb des
Klosters und ich dachte, ‚irgendwann einmal, wenn er von Hemingway liest, wird
er verstehen das er an so einem Wildbach gespielt hat, zu dem dieser zum Angeln
fuhr‘.
Zum
krönenden Abschluss der Pyrenäenetappe dann noch die schöne alte Herberge, von
holländischen Pilgerfreunden betreut. Was es ihm aber richtig angetan hatte,
waren die Automaten unten im Aufenthaltsraum. So ging eine Etappe zu Ende, die
ein wunderbarer Einstieg in den Jakobsweg war und den zusätzlichen Tag würden
wir sicher wieder herausholen.
Was aber von nun an
Frederics Denken beschäftigte, war Pamplona und San Fermines, der
Stierlauf! Zwar würde dieser erst beginnen, wenn wir Pamplona schon wieder
verließen, aber ich konnte Frederic zeigen, wo die Stiere laufen und wie sich
die Stadt herausputzte.
Aber das ist eine andere
Geschichte auf dem Weg nach Santiago.
Camino 2012
Von Sarria nach
Santiago
Sarria - Portomarin
* * * * * *
Noch einmal
machen wir uns auf den Weg mit Pellegrino, der den Francés nicht nur
abwechselnd mit seinen Kindern während der Sommerferien - also zur
‚belebtesten‘ Zeit – gegangen ist, sondern auch immer wieder alleine. Und vor
allem immer wieder den Camino Francés, den er wohl inzwischen kennt wie seine
Wohnstube. Einschließlich der Herbergen und Hospitaleros.
Immer wieder
zieht es ihn auf genau diesen Weg zurück und er zeigt uns dabei, dass man sich
auch von den vielzitierten ‚Pilgermassen‘ nicht unbedingt ab-schrecken lassen
muss. Nein, dass man sogar diesen besonderen Situationen nicht nur mit Gelassenheit
begegnen, sondern ihnen gar noch positive Seiten abgewinnen kann.
So geht er hier
die Etappe, die er beschreibt, nicht nur aktuell, sondern gedanklich auch
nochmal in den verschiedenen Vorjahren und mit den verschiedenen Mitpilgern.
Zum leichteren
„Mitgehen“ für den Leser sind diese Passagen aus der Vergangenheit kursiv
gedruckt. Es handelt sich also bei diesen Kursiv-Passagen nicht um Kommentare der Herausgeber. Nicht zuletzt gibt uns Pellegrino in
seinem Bericht Einblick in seine Gedanken über und seine Gefühle für Galizien,
wo sich alle Jakobwege und alle Jakobspilger schließlich treffen.
Das graue Galizien, das feuchte
Galizien, das kalte Galizien – aber auch das grüne, das sonnige, das leuchtende
und duftende Galizien und ersehntes Ziel der Millionen von Pilger in über
tausend Jahren.
36
Sarria nach Port Sarria nach
Portomarin von Pellegrino
Claudio
G
rau und regnerisch kündigt sich
der Tag an, als ich die Herberge verlasse, nach einer kalten Nacht steht mir
jetzt erst einmal der Sinn nach einer Tasse Kaffee. Ich bin in Sarria, dem
Start meiner diesjährigen Pilgerreise. Doch eigentlich begann alles schon viel
früher.
Als ich begann, meine ersten
beiden Beiträge für unser Forums-Buch zu schreiben, kam mir auch die Idee für
diesen Beitrag.
Für Caroline war der schönste
Abschnitt, an den Sie sich immer wieder gerne erinnert, der von Azofra über
Grañon nach Belorado, „weist Du, da wo wir beim Kochen mitgeholfen haben, Mama
da haben wir Pfirsiche aus der Dose gefrühstückt, waren die lecker“. Aber ich
weiß, dass es die Abendandacht in Grañon war, die sie in ihren Bann gezogen
hatte. Ebenso wie der Abend bei Tomás in den Bergen in Manjarin ….
Für Frederic war es die Strecke
über die Pyrenäen. Das begann schon kurz hinter Bayonne mit einem verzückten
„Boah“, dem in den nächsten Tagen noch weitere folgen sollten. So zum Beispiel,
als wir morgens in Huntto aufbrachen und kurz vor Orisson, die Serpentinen
hinauf, den Nebel verließen und Frederic zurückblickte, da meinte er andächtig
„man könnte meinen, man blickt über das Meer“.
Auf meinem ‚Camino Solo‘ im
folgenden Jahr war es die Strecke über Sarria nach Portomarin gewesen, als ich
mit Gitte vom O Cebreiro kam und am nächsten Morgen Attila in einer kleinen Bar
kennenlernte. Eigentlich nichts Außergewöhnliches, aber bis zum Ende in
Fisterra trafen wir uns immer wieder und am letzten Abend feierten wir
gemeinsam mit Gitte ihren Geburtstag, wozu sich auch noch Gerda von der
Deutschen Pilgerbetreuung in Santiago dazugesellt hatte. Alles in allem, ein
gelungener Abschluss.
So kam mir der Gedanke, diesen
Beitrag an Ort und Stelle zu schreiben und dabei die letzten hundert Kilometer
zu gehen.
Heute Morgen sitze ich nun in der
kleinen Bar in Sarria, neben der Herberge direkt am Jakobsweg, bei einem Kaffee
Solo und lausche dem ‚Tack Tack‘ der Pilgerstöcke. Im November sind es nicht
mehr so viele.
Ich genieße die Ruhe und freue
mich auf die bevorstehenden Tage in Galicien, einmal ohne Hast und Hetze von
Sarria nach Santiago – 110 Kilometer, für die ich mir zehn Tage Zeit lassen
möchte. Doch gestern Abend auf dem Weg vom Busbahnhof hinauf zur Herberge
konnte ich schon erahnen, dass ich diese Zeit auch benötigen würde.
Gestern um 15.45 Uhr landete ich
mit Ryanair in Lavacolla. Dann sollte es mit dem Bus nach Santiago gehen, da
ich nicht gedacht hatte, den Bus nach Lugo um 16.16 Uhr noch zu bekommen.
Umso erstaunter war ich, als ich
kurz vor vier schon an der Bushaltestelle stand und somit am gleichen
Nachmittag noch nach Lugo kam. So ging es mit dem Bus den Camino rückwärts,
zumindest bis kurz hinter Melide, bevor der Bus dann nach Norden abbog. Immer
wieder sah man Pilger und es waren nicht wenige, die um diese Zeit noch
unterwegs waren.
Wir fuhren in den Abend und die
Dämmerung schlug mir aufs Gemüt und je weiter wir in die Nacht fuhren, umso
mehr kamen mir die Zweifel. Als wir dann aus den Hügeln kamen und Lugo zu sehen
war, war es auch um meine Stimmung vollends geschehen, grau und düster lag die
Stadt im letzten Licht des Tages und zeigte sich nicht gerade von ihrer besten
Seite. Auch wenn ich mich schon mal über die Übernachtungsmöglichkeiten in Lugo
informiert hatte, nun standen meine Gedanken nur noch auf Flucht. So erkundigte
ich mich, in Lugo angekommen, gleich nach einem Bus nach Sarria und auch dieses
Mal war das Glück auf meiner Seite, um halb sieben war Abfahrt.
In Sarria angekommen regnete es
in Strömen und ich begab mich auf die Suche nach einem Bett. Jetzt wollte ich
nur noch eine heiße Dusche und das Bett, doch die meisten Herbergen waren
geschlossen, so ging ich den Camino immer weiter hinauf Richtung Stadtrand und
wurde in der Albergue Don Alvaro fündig.
„Una cama por favor?“ – „Si!“ –
„Abajo?“ – „Si!“ – Der
Abend war gerettet und somit auch die kommende Nacht, ich bekam wie gewünscht
ein Bett ‚unten‘ und als Draufgabe war ich der einzige im Zimmer. Doch es wurde
eine kalte Nacht.
Nun sitze ich in der kleinen Bar
und ich erinnere mich als Caro und ich vor Jahren in der Albergue International
übernachteten.
Vom O Cebreiro kommend waren wir
die Nacht bis kurz vor Sarria durchgelaufen und hatten in einer Bushaltestelle
übernachtet. Mit dem ersten Bus sind wir dann nach Sarria gefahren und nach
einem heißen Kaffee haben wir uns auf die Suche nach einem Bett gemacht,
überall wo wir hinkamen ‚Completo‘, nur in der Internationalen Herberge war
noch etwas frei.
Was dann kam, würde Kaya Yanar zur
Ehre gereichen, so nach dem Motto „du kommst hier ned rein“, nur für
‚reservierte Gäste‘ und da wir nicht reserviert hatten, … „kommst du hier ned
rein!“. Ich blickte zu Caro hinüber und als ich dieses Häufchen Elend sah, mir
ging es auch nicht besser, schwoll mir der Kamm und ich machte dem Concierge
unmissverständlich klar, dass wir hier nicht weichen würden, es sei denn in ein
Bett dieser wunderbaren Herberge, die sicherlich auf das Wohl der Pilger
bedacht sei, die schon seit hunderten von Kilometern unterwegs waren.
Um sein Gesicht zu wahren, füllte
er einen Reservierungsschein aus und meinte, „die Betten werden aber erst um 12
Uhr fertig“, kassierte 10€ im Voraus für jedes Bett und verlangte meinen
Ausweis „für die Meldestelle“.
Doch dem Funkeln seiner Augen sah
ich an, dass er jetzt nur auf Gegenwehr wartete, doch den Gefallen tat ich ihm
nicht. So gingen wir erst einmal in den Supermarkt einkaufen und neben der
Kirche auf einer Bank gab es dann ein herzhaftes Frühstück.
Als wir dann Punkt 12 Uhr in der
Herberge auftauchten, meinte er mit ernster Miene, uns eine Hand mit
gespreizten Fingern entgegenstreckend, „cinco minutos por favor“ – ‚noch fünf
Minuten‘ …
So bekamen wir Betten direkt am
Camino und draußen hörte man das ‚Tack Tack‘ der Pilgerstöcke. Ein Geräusch das
ich mein Leben lang in den Ohren behalten werde, es ist wie Musik.
Heute bin ich spät dran, aber ich
sehe dem recht gelassen entgegen, ich habe Zeit, möchte Galizien genießen.
Dementsprechend sind auch meine Etappen geplant, kein Rennen, keine Hetze und
vor allem keine Flucht. Pilgerfreund José Maria meinte bei unserem letzten
Treffen, „weißt du, ab Melide bin ich nur noch geflohen“.
Ich kenne das, denn bisher war in
Galizien immer der Moment gekommen, an dem ich die Flucht ergriff, mit Caro war
es in Arzua, mit Frederic in Melide und letztes Jahr überkam es mich in Palas
de Rei. In Santiago habe ich sogar noch mittags vor der Pilgermesse die Stadt
verlassen, Richtung Meer, Fisterra war damals mein Ziel.
Als Caroline und ich vor Jahren
hinauf zum O Cebreiro gegangen waren, sagten wir einhellig, dass alles, was wir
bis jetzt gesehen hatten, durch nichts zu toppen wäre. Die Pyrenäen und deren
Ausläufer in Navarra, die Weinberge des Rioja, die endlosen Weiten der Meseta
in Kastilia y Leon und dahinter die Montes mit dem Cruz de Ferro, das Bierzo
mit seinem beschwerlichen, aber wunderbaren Camino Duro. Alles wunderbare
Landschaften und Sonne pur. Und nun Galizien, kalt, stürmisch und regnerisch,
Pilgermassen schon auf dem O Cebreiro. Und dann erst! Hinter Sarria auf den
letzten hundert Kilometern!
Doch Galizien sollte einen ganz
besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen. Als ich das erste Mal auf dem O
Cebreiro stand, dachte ich, „Ja, so muss die Welt aus Gottes Augen aussehen“.
Hier treffen die Klänge der Natur die menschliche Vorstellungskraft.
Roncesvalles, Pamplona, Burgos und Leon, das sind Etappen, da nimmst du den
Atem der Zeit in dich auf. Du inhalierst die Historie, all die Millionen von
Pilgern die in den letzten Tausend Jahren ihren Weg gegangen sind. Tag für Tag,
Monat für Monat und Jahr für Jahr, unbeirrt zogen sie nach Westen, den Sternen
entgegen.
Doch hier in Galizien ist es
anders, die Luft ist frisch, es duftet nach grünem Gras und später wird sich
noch der Duft der Eukalyptuswälder dazu gesellen. Die Farbenpracht der
Hortensien
und Magnolien im Kontrast zu den
grauen Natursteinhäusern. Und das nahe Meer. Vor allem aber, ‚Sie reden mit
dir‘, ja es klingt verrückt, aber die Eukalyptusbäume reden mit dir. Anfangs
nur ein Knarzen und Knarren, untermalt von dem Rauschen der Blätter im Wind,
doch irgendwann erkennst du eine Melodie, die deine Seele berührt. Wenn die
Natur Gottes eine Kathedrale ist, dann ist Galizien der Tabernakel, das
‚Allerheiligste‘.
Schon oben auf dem O Cebreiro
meint man das Meer, weit im Westen, erkennen zu müssen, doch es ist noch viel
zu weit entfernt.
Sieben Tage noch bis Santiago und
dann nochmal vier Tage auf dem Camino Fisterra, dem Weg ans Ende der Welt.
Doch mein Weg beginnt dieses Jahr
in Sarria, eigentlich zog es mich schon auf den O Cebreiro, doch das schaffe
ich nicht, denn ich will ja noch ans Meer gehen.
Ich erinnere mich an die
vergangenen Jahre, diesen Weg ging ich schon mit Caroline und Frederic.
Letztes Jahr saß ich draußen mit
Freunden und genoss den etwas trüben, aber doch schönen Nachmittag. Rudy aus
Frankreich mit seiner italienischen Freundin, Ann Louise aus Norwegen und deren
Clique, waren in der Albergue Municipal und Gitte und ich wollten noch weiter
nach Barbadelo. Na ja, ursprünglich war mein Ziel Sarria, doch wieder einmal
war alles ‚Completo‘ gewesen. So schloss ich mich Gitte an.
Wir trafen uns in La Faba.
Eigentlich kannten wir uns schon seit zwei Jahren aus unserem Forum, aber eben
‚nur‘ aus dem Forum. Und das Kuriose daran war, wir waren uns das erste Mal
begegnet in der Ermita del Ecce Homo kurz hinter Astorga, hatten kurz
miteinander geredet, bevor ich weiter Richtung Rabanal gegangen war. Als wir
uns dann nochmal in El Ganso getroffen hatten, meinte sie, sie würde wohl in
der Herberge im Ort bleiben.
Abends bekam ich dann eine SMS
von Petra, einer befreundeten Pilgerin, ob ich denn wisse, dass ich mit Gitte
aus dem Forum geredet hatte?
In La Faba, fünf Tage und 100
Kilometer später, trafen wir uns wieder in der Schwäbischen Herberge bei einer
Rast.
So kam es, dass wir dann
gemeinsam aus den Bergen durch Sarria gingen, Portomarin war mein Ziel und
Gitte wollte weiter.
So gehe ich heute Morgen Richtung
Portomarin, doch schon bald zeigt sich, dass heute ‚nicht viel geht‘. So komme
ich gerade mal bis Rente, wo ich mir in der Casa Nova ein Zimmer nehme. Schon
in Barbadelo habe ich mir in der Servicestation, einer zum Automatenraum
umgebauten Scheune, eine ausgiebige Pause erlaubt. Seit einigen Monaten wird
sie von Abdullah, einem jungen Marokkaner betreut, der Besitzer der Albergue
Barbadelo hat findiger Weise einen gutflorierenden Souvenir-Shop daraus
gemacht. Für mich bedeutet es
aber erst einmal Rast, ‘ne Cola
und Kaffee, dazu noch Ansichtskarten für die Lieben zuhause.
Um es mit Hermann Hesses Worten
zu sagen, „manche Leute sagen, das Durchhalten mache uns stark, doch manchmal
ist es gerade das nicht
Durchhalten, was uns stark
macht“. So beschließe ich, meine Etappen zu teilen und jede in zwei Tagen zu
gehen, so werde ich Santiago erreichen und dort noch einige Tage bleiben, so
mein Plan am Ende meines ersten Pilgertages.
Dieses Jahr erlebe ich das
Pilgern einmal von einer anderen Seite. Haben wir uns immer über die
„Edelpilger“, Pilger mit leichtem Gepäck, die nur die letzten hundert Kilometer
gehen, lustig gemacht, so gehöre ich nun auch zu dieser Spezies. Ich sehe das
Pilgern einmal aus einer anderen Perspektive und ich denke, wenn man sich ein
Urteil darüber erlauben will, sollte man wissen, worüber man urteilt.
Eine finnische Pilgerin, mit der
ich heute Morgen ins Gespräch kam, meinte, nachdem ich scherzhaft sagte, „ich
komme jedes Jahr auf den Camino, um meine Seele zu suchen“, „nein, du hast sie
nicht verloren, das sehe ich in deinen Augen!“ Sie zeigte mit einer
Handbewegung in die Runde, auf den moosbewachsenen Baum und die Farne und
Gräser und meinte, „das alles erinnert mich an meine Kindheit, an Alice im
Wunderland“. Als wir uns später nochmal trafen, meinte ich zu ihr, dass sie
wohl Recht hat, es wäre doch mein Herz, das ich an Galizien verloren habe. Als
ich ihren Blick sah, fügte ich schnell hinzu, „weißt Du, ich liebe meine
Familie, doch das mit dem Camino ist etwas anderes“. – „Ich versteh Dich schon,
hier sind alle gleich, egal was du bist, ob Professor, Arbeiter oder Hausfrau,
wir sehen alle gleich aus.“
So sitze ich nun in der Casa
Nova, im einzig geheizten Raum und warte auf das Abendessen. Es duftet danach,
der Tisch ist gedeckt, aber alles ist dunkel, ich meine die Spanier sind ja
bekannt für ihr spätes Abendessen, doch es ist schon nach halb neun, oder hat
man vergessen die Uhr umzustellen!?
Aber wenn ich ganz ehrlich bin
wäre mir eine heiße Dusche, ein warmes Bett und eine Flasche Vino Tinto jetzt lieber.
Auf die heiße Dusche verzichte
ich, da das Badezimmer eiskalt ist. Die Flasche Vino geht wegen meiner
Medikamente nicht, einzig das warme Bett bleibt mir, da wenigstens auf meinem
Zimmer die Heizung angesprungen ist. So gehe ich ohne Abendessen schlafen,
macht auch nichts, schon öfter habe ich von meiner ‚Masse gezehrt‘.
Draußen stürmt es, es ist eine
regnerische Nacht, doch was soll´s, als ich zum Frühstück komme, sitzen noch
drei Pilger in der
Gaststube. Sie sind zeitig in
Sarria gestartet und suchen nun Schutz vor dem stärker werdenden Regen. Heute
ist Frühstück angesagt, Toast, Butter und Kekse, dazu ein Stück Kuchen, aber
worauf es mir eigentlich ankommt, ist frischer Kaffee. Die kleinen
Annehmlichkeiten des Lebens.
Ein Nieselregen empfängt mich,
doch ich bin gut eingepackt, meine Regenkleidung hält nicht nur dicht, sondern
auch warm. Wie heißt es doch so schön, ‚die Kunst zu Leben besteht darin, zu lernen im Regen
zu tanzen, anstatt auf die Sonne zu warten‘. So gehe ich an diesem Morgen
meinem ersten Punkt der Erinnerung entgegen, Mercado.
Nachdem Gitte und ich uns letztes
Jahr in Barbadelo getrennt hatten, kehrte ich in dieser kleinen Bar an der
Kreuzung hinter Rente, kurz vor Mercado ein. Draußen war noch ein Tisch frei
und ich holte mir, nachdem ich meinen Rucksack abgestellt hatte, einen Kaffee.
Einfach mal die Seele baumeln lassen, ich war gut in der Zeit und würde mir die
ein oder andere Pause leisten können. So hing ich meinen Gedanken nach, als
mich ein junger Pilger ansprach. Ich deutete auf die Stühle und nickte ihm zu.
Wir waren uns schon öfter
begegnet, aber nie ins Gespräch gekommen, es hatte sich nie ergeben. Was mir
als allererstes auffiel, waren die Augen, dieser verlorene, suchende Blick, der
allen Schmerz dieser Welt in sich trug. Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf
seine Tasche, auf der ein Pilger-Sticker mit einem rot-weiß-grünen Rand
aufgenäht war und sagte, „Italiener?“ Und er antwortete, „nein, Ungar!“ Mir
fiel der ungarische Pilger namens Attila ein, von dem Gitte erzählt hatte. Er
war mit der Asche seiner verstorbenen Frau unterwegs nach Fisterra, um sie dort
im Meer zu versenken. So sagte ich zu ihm, „Du bist Attila, ich habe von dir
gehört!“ Er lächelte und meinte, ich sei wohl mit einer deutschen Frau
gelaufen. Ich sagte, „Gitte?“ und er nickte. Ich erzählte ihm die Geschichte,
wie wir uns in La Faba getroffen hatten, aber eigentlich schon seit Astorga
immer wieder begegnet waren. Attila - ich sollte Ihn noch öfter treffen, und
irgendwann begann er zu erzählen, von seiner Frau, wie sie gemeinsam gepilgert
waren und wie sie vom Tod von seiner Seite gerissen wurde.
In Ungarn hat man die
Möglichkeit, seine Asche auf einer anonymen Wiese beerdigen zu lassen, da wird
die Asche in die Luft geblasen und eine Sprinkleranlage verhindert, das die
Asche über den Rand der Wiese hinweg geblasen wird. Einen kleinen Teil bekam er
in einen Kristall eingefasst und mit diesem sei er nun unterwegs. Es war der
Beginn einer bis heute anhaltenden Freundschaft.
Selbst auf die kurze Strecke
werde ich heut ‚nass wie die Katz‘ und zu allem Überdruss ist die Bar auch noch
geschlossen, was bedeutet, dass aus meinem Kaffee ein frisches Cerveza con Lemon, ein Radler
oder im Norden ‚Alsterwasser‘ wird. Aber erst in Morgade. Zuvor kommt noch der
‚Hundertkilometerstein‘ kurz hinter Brea.
Auf dieser Strecke trafen Frederic und
ich, zwei Jahre zuvor, das erste Mal auf die französischen Pfadfinder, dutzende
Gruppen, hunderte Pfadfinder. Frederic war hin und weg, das sprengte alles, was
wir die letzten Wochen erlebt hatten.
Auch Caroline und ich hatten hier
eine Begegnung der besonderen Art. Am ‚Hundertkilometerstein‘ trafen wir auch
Rimini, den wir schon seit Tagen nicht mehr gesehen haben, wieder. Wir nannten
ihn nur Rimini, ein Italiener, der in seiner Heimat Italien, in Rimini, zu Fuß
gestartet war. Wir trafen ihn das erste Mal in Grañon, in der Herberge, ein
einfacher Pilger, der immer ein Lächeln übrig hatte und sich über jeden freute,
den er wiedertraf. So wurden wir ‚Pilgerfreunde‘. Mal liefen wir miteinander,
mal trafen wir uns tagelang nicht, dann mal wieder abends in der Herberge,
unverhofft, doch der Jubel war groß und alle teilten unsere Freude. Am
allermeisten stolz war der Hospitalero in Astorga, der beobachtete, wie fertig
und abgekämpft wir nach 32km in der sengenden Sonne ankamen und erst mal auf
die Stühle vor der Herberge sanken und platt waren. Später in der Herberge kam
Rimini und wir führten einen Freudentanz der Begrüßung auf, wie weggeblasen war
die Erschöpfung, man spürte förmlich, wie stolz der Hospitalero war, solche
Begegnungen zu erleben!
Ich schweife mal wieder ab. Was
ich eigentlich sagen wollte, wir liefen in Sarria morgens früh los und trafen
am Vormittag auf Rimini, den wir das letzte Mal im Bierzo gesehen hatten. Schon
von weitem fuchtelte er mit den Armen und rief uns was zu, aber wir verstanden
nichts, denn das Bezeichnende an dieser ‚Pilgerfreundschaft‘ war, er sprach
kein Deutsch und wir kein Italienisch, aber wir ‚unterhielten‘ uns gerne. Als wir
bei ihm ankamen, wurde uns klar, wir stehen am ‚100-Km-vor-Santiago-Stein‘, wir
begannen uns gegenseitig zu fotografieren und im nu war eine Pilgeransammlung
um uns entstanden. Eine Spanierin meinte, mit ihrem Credencial angeben zu
müssen, der - obwohl erst wenige km in Galizien unterwegs - schon 10 Stempel
hatte, wobei sie erst am O Cebreiro gestartet war.
Worauf Rimini seine Credenciales
zückte und ein Raunen durch die Menge ging.
Was mich aber richtig stolz
macht, mit diesem Pilger den Weg teilen zu dürfen - wir kamen an, freuten uns
über die letzten hundert Kilometer und man sah das Glück auch seinem Gesicht
an, und dann kam die Geschichte mit den Credenciales. Er wäre einfach weitergegangen,
wären da nicht die "Prahlpilgers" gewesen. Bei der ganzen Aktion
sprach er kein Wort, doch ich ahnte seine Gedanken, es waren Gedanken des
Glücks und der Dankbarkeit, mehr nicht und ich glaube, das konnte man an seinem
Gesichtsausdruck erkennen. Er machte Rast und wir gingen weiter, so wie die
letzten 500km aber ich hätte gerne seinen Gesichtsausdruck gesehen, als
er dann einen Kilometer weiter vor dem ‚richtigen‘ 100-km-vor-Santiago-Stein
stand. Wir hatten nämlich am alten Stein „gefeiert“, denn da sich die Wege
immer wieder änderten, verändert sich auch die Distanz hin und wieder. Frederic
und ich hatten hier ein Jahr später ein ‚Fotoshooting‘ mit den Pfadfindern und
in den nächsten Tagen hörten wir immer wieder von vorüberziehenden Jungs ein „Hola
Frederico“ oder „Hola Claudio“, jeder kannte uns natürlich von unseren
Namensschildern am Rucksack.
Es regnet immer noch, als ich am
Stein ankomme, ein Ehepaar erwartet mich schon freudig mit der Kamera in der
Hand, ich lächle, denn nun muss ich nicht auf die nächsten Pilger warten, um
diesen ‚geschichtsträchtigen‘ Moment festzuhalten. Schnell einige Fotos
geschossen und schon geht es weiter, es ist viel zu ungemütlich und so geht es
zielstrebig Morgade entgegen.
Die Bar füllt sich und ich nehme
gleich einen Stuhl am Ende des Raumes in Beschlag und ehe ich mich versehe,
machen sich vier Holländer an dem Tisch breit. Ja so kennt man sie. Am
Nebentisch seh‘ ich einen freien Stuhl und deute darauf, ein Pilger in meinem
Alter nickt und meint nur „Crazy Dutch“. Die beiden Pilger am Tisch sind David,
ein Texaner und Justin, ebenfalls aus Amerika. Als ich grinse, meint Justin,
der jüngere von beiden, da sei wohl ein Unterschied! Beide sind in Saint Jean
Pied de Port gestartet und schon fast vier Wochen unterwegs und ich entgegne,
„so schnell habe ich es noch nie geschafft“. Worauf David meint, „Du bist schon
öfter gegangen?“ und ich erzähle ihm die Geschichte.
David begeistert sich gerade an
einer Plato Combinado und meint, DAS sei ein American Breakfeast, mit dem
spanischen Frühstück könne er sich nicht anfreunden. Wer um alles in der Welt
versaue seinen Kaffee mit Milch und esse dazu noch trockenes Brot! Nun,
zumindest beim Kaffee kann ich ihm zustimmen. Ich habe hier eine längere Rast
eingeplant und während die beiden wieder aufbrechen, überlege ich noch, ob ich
eine Caldo Galego, eine
galizische Kohlsuppe esse. Ihr Ziel ist Portomarin, ich hingegen will nur nach
Mercadoiro, das reicht mir, so kann ich am nächsten Tag über Portomarin nach
Gonzar gehen. Als ich dann meine Kohlsuppe bestellen möchte, gibt es keine
mehr, eine koreanische Pilgergruppe habe das Zeug literweise in sich
hineingeschüttet, meint der Wirt und ich sage „y cerveza!“, worauf er
antwortet, „si, y cerveza“, und Bier. Diese Gruppe gehe den Weg im Bierrausch.
Ich entschließe mich zum
Aufbruch, um in Fereiros an einem kleinen Rastplatz meine Pause fortzusetzen,
ich hab‘s ja nicht mehr weit. Mittlerweile haben sich die Wolken gelichtet und
die Sonne kommt hervor, es wird hell und das mittags um halb zwei. Der
Rastplatz ist zwar vom ‚Sturm des Sommers‘ etwas in Mitleidenschaft gezogen,
aber doch noch ganz passabel.
Wieder einmal hänge ich meinen
Gedanken nach, als unverkennbar ‚koreanisches Gezeter‘ meine Aufmerksamkeit auf
sich zieht. Einige Koreanerinnen, die das Schild vor der Bar begutachten, sind
ziemlich aufgebracht, als sie lesen das hier eine Plato Combinado gerade mal 50 Cent mehr kostet als
vor einigen Kilometern ihre ‚Wassersuppe mit einigen Kohlblättern drin"
An diesem Nachmittag komme ich
unerwartet zügig voran, so dass ich in Mercadoiro angekommen den Entschluss
fasse, nach Portomarin weiterzugehen.
Knapp 6km, dann steige ich in
Portomarin mit den letzten Sonnenstrahlen die Treppe zur Stadt hinauf und mein
Weg führt mich zielstrebig zur Albergue Porto Santiago. Schon seit Jahren
versuche ich, in dieser Herberge ein Bett zu bekommen, vergeblich, der Ansturm
im Sommer ist zu groß, und ich bin zu langsam.
Doch heute soll es klappen. An
diesem Abend erlaube ich mir etwas, was ich sonst immer vehement ablehne, ich
belege mein Bett und verzupfe mich sofort in die Stadt, suche mir ein
Restaurant und gönne mir ein Pilgermenü. Vor dem ersten Restaurant stehen zwei
alemannische Pilger und ich mache auf dem Absatz kehrt und gehe zurück zu dem
kleinen Restaurant gegenüber der Kirche. Mein Magen knurrt, so bestelle ich mir
mein Pilgermenü mit Spaghetti und Hauptgang, danach eine Tarta Portomarin,
eigentlich das gleiche wie eine Tarta Santiago, nur mit weißen Mandeln. Zum
Abschluss gibt’s noch einen Kaffee.
Als ich später auf dem Weg zur
Herberge die Plaza Conde Fenosa, den Platz vor der Kirche überquere, sehe ich
noch einmal die ‚vielen Tausend‘ Pilger vor meinem geistigen Auge, die vor zwei
Jahren diese Plaza bevölkert hatten.
Frederic und ich kamen abends
nach Portomarin und restlos alles und jedes Bett war belegt, die Albergue
Municipal war Completo und die dazugehörige Notherberge gegenüber war auch
voll. Monika, unsere australische Mitpilgerin, war zügig durchgegangen und
hatte noch ein Bett ergattert. Frederic, Friderike und ich kamen zu spät an,
der Ort war voller Pilger. Wir pilgerten nun mal im Heiligen Jahr, 2010, man
rechnete mit einer Million Pilgern, doch bis jetzt hatten wir immer Glück
gehabt mit unseren Betten.
Als wir gerade weiterlaufen
wollten, kam Cindy, eine amerikanische Mitpilgerin. Sie hatte in der
öffentlichen Herberge noch ein Bett bekommen und forderte uns auf mitzukommen,
sie wisse, wo es noch Betten gebe. Sie führte uns die Straße neben der Herberge
hinauf und etwa 50 Meter weiter oben sahen wir ein altes, leerstehendes Haus,
na ja, jetzt nicht mehr, es wimmelte nur so von Pilgern und ich dachte, der Ort
platzt wirklich aus allen Nähten.
Das leerstehende Gemeindehaus
wurde für die Pilger geöffnet und es war brechend voll, wenn man reinkam links
und rechts jeweils zwei Räume mit je 30 Pilgern auf dem Boden, Friderike bekam
oben noch einen Schlafplatz, den letzten im Haus. Als wir wieder runterkamen,
wurde gerade noch der Wintergarten geöffnet, wir mussten ihn nur sauber machen,
so legten wir alle Hand an und bekamen einen Platz für die Nacht. Die Toiletten
waren in einem Seitengang und nur in der Hinteren funktionierte das Schloss.
Wenn man also auf die Toilette musste, schnappte man sich den nächsten Pilger,
der vorbei kam und postierte ihn vorne am Korridor, er schob Wache.
Als wir später vom Einkaufen
zurück durch die Calle General Franco kamen, war die Plaza voller Pilger, doch
auf einmal verdichtete sich die Pilgermenge noch weiter und von hinten kamen
immer mehr Pilger auf die Plaza. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass am Abend
noch 1.400 Pilger in der Stadthalle untergebracht worden waren. Ich schätzte
die Zahl der Pilger in Portomarin an diesem Abend auf über 2000.
Ein Tag inmitten von hunderten
Pfadfindern und voller Erlebnisse für Frederic war zu Ende gegangen, aber auch
ein Tag, der uns erahnen ließ, was noch auf uns zukommen würde. Ab jetzt
atmeten wir wirklich den Atem der Zeit, tausende Pilger unterwegs nach
Santiago, nach Wochen des Pilgerns waren es jetzt nur noch wenige Tage, das
Ziel war zum Greifen nahe, aber auch so etwas wie Wehmut machte sich in mir
breit.